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Technologie und Recht (Teil 2 von4)

Einheitspatent – Was Schweizer KMU beachten müssen

Das gemäss aktuellem Stand ab 1. Juni 2023 in Kraft tretende «Einheitspatent» bietet Schweizer KMU neue Chancen, um deren Patentstrategie gezielter auf ihre individuellen Bedürfnisse ausrichten zu können. Die Serie von vier Artikeln führt mit diesem zweiten Teil in das neue Einheitspatent ein und erläutert dessen Vor- und Nachteile für Schweizer KMU.
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Die Wahlmöglichkeiten der Anmelder für einen Patentschutz von Erfindungen in Europa werden sich ab dem 1. Juni 2023 drastisch erweitern. In Zukunft wird es möglich sein, ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung – das sogenannte «Einheitspatent» – ausgehend von einer eingereichten europäischen Patentanmeldung zu erhalten. 

Das Einheitspatent entfaltet seine Wirkung in vorerst 17 teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten; in der Zukunft sogar potenziell in bis zu 25 EU-Mitgliedsstaaten. 

Vereinfachte Durchsetzung

Obwohl die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied kein Abkommensstaat für das neue Einheitspatentsystem ist, können Schweizer Unternehmen dennoch ein Einheitspatent erwirken. Weiterhin zugänglich ist parallel dazu das bereits etablierte europäische Patent, mit der bekannten indi­viduellen Validierung in über 39 Staaten in Europa und darüber hinaus. Zudem nimmt das Einheitliche Patentgericht («EPG», Unified Patent Court) zum selben Datum seine Tätigkeit auf.

Das Einheitliche Patentgericht wird nach einer Übergangszeit ausschliesslich für alle Streitsachen bezüglich der neuen Einheitspatente und der nationalen Teile europäischer Patente aller teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten zuständig sein. Dadurch sollen die Durchsetzung der europäischen Patente in der EU vereinfacht und die Rechtsprechungspraxis weiter harmonisiert werden.

Bedeutung des Einheitspatents

Das neue Einheitspatentsystem führt ein sogenanntes europäisches Patent mit ­einheitlicher Wirkung («Einheitspatent») ein. Dieses Einheitspatent wird bis auf Weiteres parallel zum bekannten, europäischen Bündel von nationalen Teilen ­eines erteilten europäischen Patents («Bündelpatent», mit der Schweiz als Mitgliedsstaat) bestehen. 

Der Anmelder wird nach der Erteilung der geprüften europäischen Patentanmel-dung entscheiden können, welche der zwei Möglichkeiten – Einheitspatent oder Bündelpatent – zum Schutz seiner Erfindung in Europa herangezogen werden soll. 

Um ein Einheitspatent zu erhalten, ist ein entsprechender Antrag auf einheitliche Wirkung beim Europäischen Patentamt (EPA) einzureichen. Nach einer formellen Prüfung des Antrags wird das Einheitspatent in das Einheitspatentregister eingetragen. Auf vielfache Übersetzungen in einzelne Landessprachen der Mitgliedsstaaten sowie weitere Validierungsaufwände kann nach einer Übergangszeit von sechs Jahren grossteils verzichtet werden. 

Die einzige zusätzliche Bedingung ist, dass die Patentansprüche, und somit der Schutzbereich der Erfindung, in allen Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems identisch müssen sein, was ohnehin in nahezu allen Fällen zutrifft. Nicht-Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems sind die Nicht-EU-Länder (zum Beispiel Schweiz und Grossbritannien) und die das Einheitspatentsystem ablehnenden EU-Mitglieder (zum Beispiel Spanien und Polen). Unverändert bleibt neben dem Erteilungsverfahren auch das Einspruchsverfahren und das Beschwerdeverfahren vor dem EPA – diese Verfahren sind unverändert auf das Einheitspatent anzuwenden.

Für 17 Mitgliedsstaaten gültig

Erfindungen können als Patentanmeldungen gemäss nationalen Bestimmungen bei nationalen Ämtern, gemäss regionalen Verträgen (zum Beispiel Europäisches Patentübereinkommen [EPÜ] bei regionalen Patentämtern, oder als in­ternationale Patentanmeldungen (PCT) beim internationalen Büro (WIPO) in Genf eingereicht werden. 

Je nach Weg wurde bis anhin die Erfindung in Europa als erteiltes Patent in ­nationale Register eingetragen, wobei die jeweiligen nationalen Gerichte zuständig für Patentverletzungs- und Nichtigkeitsklagen sind. Nun wird es zukünftig möglich sein, ein erteiltes europäisches Patent als Einheitspatent in derzeit 17 Einheitspatentsystem (EU)-Mitgliedsstaaten zu erlangen, welche in einer Übergangszeit wahlweise unter die Zuständigkeit der nationalen Gerichte (opt-out) oder des Einheitlichen Patentgerichts («EPG», Unified Patent Court) fallen.

Wer profitieren kann

Von den derzeit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich 25 Mitgliedsstaaten dazu bereit erklärt, am Einheitspatentsystem teilzunehmen, wobei das Einheitspatentsystem vorerst mit 17 Mitgliedsstaaten starten wird. Das Einheitspatent steht aber jedermann zur Verfügung, wenn es darum geht, die Erfindung als Einheitspatent zu registrieren oder das Einheitliche Patentgericht für Patentverletzungs- und Nichtigkeitsklagen zu nutzen. Somit ist dieser Weg auch Schweizer Unternehmen zugänglich und wird unseres Erachtens an Bedeutung gewinnen, sobald sich eine ­etablierte Rechtsprechung um das Einheitspatent gebildet hat. 

Vor- und Nachteile 

Im Folgenden wird aufgezeigt, was für Faktoren erwogen werden sollten, wenn man entscheiden muss, welches der ­beiden Systeme man nutzen möchte.

Sprachenregelungen

Im Gegensatz zum bekannten Bündel­patent in Europa, kann beim Einheits­patent auf Übersetzungen in nationale Landessprachen in absehbarerer Zukunft verzichtet werden, wodurch sich der administrative Aufwand für den Anmelder massgeblich verringert. Nach einer Übergangszeit wird das Einheitspatent somit mit nur einer einheitlichen Sprache veröffentlicht. 

Europäische Patentanmeldungen können in jeder Sprache eingereicht werden, müssen aber innerhalb einer Frist in eine der bestehenden Amtssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch) des EPAs übersetzt werden. Bisher musste nach dem Abschluss des zentralen Prüfungsverfahrens am EPA das bereits bewehrte Bündelpatent, je nach Land in dem validiert werden soll, entweder vollständig oder zumindest die erteilten Patentansprüche in eine offizielle Landessprache übersetzt werden, sofern das ausgewählte Land dies vorschreibt.

Mit dem Einheitspatent wird die Anzahl der Übersetzungen verringert. Wurde die europäische Patentanmeldung in englischer Sprache eingereicht, dann ist nur noch eine Übersetzung des gesamten erteilten Patents in eine offizielle Landessprache der Europäischen Union vorzulegen. Alternativ dazu ist eine Über­setzung in englischer Sprache für das Einheitspatent vorzulegen, wenn die europäische Patentanmeldung in deutscher oder französischer Sprache veröffentlicht wurde. 

Validierungsregelungen

Im Gegensatz zum bekannten Bündel­patent in Europa, wird beim Einheits­patent auf weitere Validierungsvorschriften verzichtet.

Das bisherige Bündelpatent muss nach der Erteilung in jenen Ländern validiert werden, in welchen man einen Patentschutz erlangen möchte. Neben der Bezahlung der Jahresgebühren und den Übersetzungsanforderungen, müssen in diversen Ländern nationale Vertreter bestellt werden (beispielsweise Grossbritannien, Österreich, Lettland oder Litauen). 

Im neuen Einheitspatentsystem besteht kein nationaler Vertreterzwang. Die Validierung ist einfach und zentral handhabbar und ist im Einheitspatentregister einsehbar. Für Nicht-Mitgliedsstaaten muss aber weiterhin ein nationaler Vertreter ­bestellt werden (beispielsweise Grossbritannien oder Spanien). Das Einheitspatent umfasst immer alle Mitgliedsstaaten – eine Reduktion der Anzahl Länder zu ­einem späteren ist nicht möglich.

Kostenregelungen

Je nach Zielländer-Einheitspatentsystem sind die Kosten für die Aufrechterhaltung des Einheitspatents in den Mitglieds­staaten tiefer.

Der Antrag für ein Einheitspatent beim EPA ist gebührenfrei. Neben dem Wegfall der Kosten für Übersetzungen der Patent­anmeldung bzw. der Patentansprüche in Landessprachen, sind die Jahresgebühren des Einheitspatents als Pauschale ­berechnet. Wenn die Erfindung in vielen Ländern (Länderanzahl > 4) geschützt werden soll, ist der Gesamtbetrag tiefer, als wenn man für die Länder einzeln bezahlen müsste. 

Beim Bündelpatent muss man für jedes validierte Land jährlich eine Jahresgebühr beim nationalen Patentamt entrichten. Beim Einheitspatent wird die Jahresgebühr für alle Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems zentral beim EPA zu entrichten sein. 

Dabei muss aber beachtet werden, dass im Einheitspatent als Paket Länder dabei sind, die man unter Umständen bis anhin nicht gewählt hätte, während gewisse häufig gewählte Nicht-Mitglieder nach wie vor auf dem bekannten Weg separat validiert werden müssen. Die Kostenersparnisse heben sich daher auf für Anmelder, die regelmässig noch mindestens zwei der folgenden Länder auswählen: Schweiz, Grossbritannien, Spanien, Türkei oder Norwegen. Wie immer gilt es, am Einzelfall zu entscheiden und gemeinsam mit dem Patentanwalt die passende Strategie für das eigene Portfolio zu definieren. 

Doppelpatentierbarkeit

Neben dem Einheitspatent sind in manchen Mitgliedsstaaten des Einheitspatentsystems parallel auch nationale Patente mit gleichem Schutzumfang erlaubt.
Für das Einheitspatent entfällt in manchen Mitgliedsstaaten das Verbot des Doppelschutzes der gleichen Erfindung. Beispielsweise behält ein paralleles na­tionales Patent in Deutschland oder in Österreich bis auf Weiteres seine Wirkung. 

Daher kann es sinnvoll sein, in Ländern mit grossem Marktpotenzial, wie beispielsweise Deutschland, parallel zur europäischen Patentanmeldung eine nationale deutsche Patentanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt einzureichen. Darüber hinaus kann eine Abzweigung von nationalen Gebrauchsmustern aus anhängigen europäischen Patentanmeldungen unter Umständen sinnvoll sein.

Chancen und Risiken 

Das Einheitspatent wird kurzfristig die Komplexität des europäischen Patent­systems erhöhen, indem es eine weitere Wahlmöglichkeit einführt. Soll wie bisher auf nationale Validierungen gesetzt werden oder bringt das Einheitspatent für die 17 Mitgliedsstaaten den gewünschten Schutzbereich? Langfristig wird sich der administrative Aufwand für die Er­langung und Aufrechterhaltung eines ­EU-weiten Portfolios etwas verringern. 

Für Anmelder, die allerdings Schutz in den Nicht-Mitgliedsstaaten (einschliesslich nicht EU-Staaten und den Erstreckungsstaaten des Bündelpatents) wünschen, wozu wichtige Länder wie Spanien, Grossbritannien, Norwegen, Türkei, Schweiz und Polen zählen, werden sich die Kostenvorteile aber in Grenzen halten. 

Unseres Erachtens viel entscheidender als die administrativen Vereinfachungen wird die Rechtsprechung des Einheits­patentgerichtes über Erfolg- oder Nichterfolg des neuen EU-Patentsystems sein. 

Wenn es dem Einheitspatentgericht gelingt, im Umfang des gesamten abgedeckten Territoriums qualitativ hochstehende Entscheide zu produzieren, welche für die Marktteilnehmer voraussehbare Ergebnisse liefern, kann das Einheitspatent ein mächtiges Werkzeug zur Sicherung eines Wettbewerbsvorteils im EU-Binnenmarkt sein. 

Zusammenfassung

Das neue Einheitspatentsystem, umfassend das Einheitspatent (einem euro­päischen Patent mit einheitlicher Wirkung für zahlreiche teilnehmende EU-Staaten), wird am 1. Juni 2023 in Kraft treten. Neben einer möglichen Kosten­reduktion und reduziertem Administrationsaufwand, aufgrund Einsparungen bei Übersetzungsanforderungen, nationalen Vertretern sowie Jahresgebühren, kann das neue Einheitspatent neue Möglichkeiten in der strategischen Ausrichtung der IP-Portfolio der Anmelder bieten. Wenn es dem Einheitspatentsystem gelingt, bei den Benutzern genügend Vertrauen aufzubauen, dürfte es in einigen Jahren eine starke Erweiterung der IP-Toolbox sein und auch von Schweizer KMU sinnvoll und kosteneffizient genutzt werden.

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