Recht

Technologie und Recht, Teil 3 / 4

Das Einheitliche Patentgericht – Eine Übersicht

Das am 1. Juni 2023 in Kraft getretene Einheitspatentsystem umfasst neben dem neuen Einheitspatent als zweites wesentliches Element auch das Einheitliche Patentgericht («EPG»). Die Serie von vier Artikeln erläutert in diesem dritten Teil die Funktionsweise dieses neuen Gerichts, welches auch für im EU-Raum tätige Schweizer KMU relevant sein wird.
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Das Einheitliche Patentgericht (EPG, englisch Unified Patent Court, UPC) ist ein von den aktuell 17 teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten (vgl. Übersicht in Box 2) gemeinsam errichtetes internationales Gericht. Die Rechtsgrundlage für das Einheitliche Patentgericht bildet das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ, EPG-Übereinkommen 2013/C 175/01) vom 19. Februar 2013.

Die Zuständigkeiten

Die Zuständigkeit für zivilrechtliche Auseinandersetzungen, wie insbesondere Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen, im Zusammenhang mit den einzelnen nationalen Teilen europäischer Patente lag bis anhin ausschliesslich bei den entsprechenden nationalen Gerichten.

Mit Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 ist nun das Einheitliche Patentgericht nach Artikel 32(1) EPGÜ insbe­sondere für nachfolgende Klagen betreffend nationale Teile europäischer Patente (EP), europäische Patente mit einheit­licher Wirkung («Einheitspatente»), ergänzende Schutzzertifikate (ESZ) und europäische Patentanmeldungen ausschliesslich zuständig:

  • Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten
  • Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Patenten
  • Klagen auf Erlass einstweiliger Massnahmen/Verfügungen und Sicherungsmassnahmen
  • Klagen und Widerklagen auf Nichtig­erklärung von Patenten
  • Klagen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Erfindung vor der Er­teilung eines Patents oder mit einem Vorbenutzungsrecht

Für Klagen, die nicht in die ausschliess­liche Zuständigkeit des Einheitlichen ­Patentgerichts fallen, werden weiterhin die nationalen Gerichte zuständig sein. Dies betrifft insbesondere Klagen be­treffend das Eigentum an einem Patent (sogenannte Patentvindikationsklagen).

Während einer Übergangszeit von sieben Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ können Klagen wegen Verletzung be­ziehungsweise auf Nichtigerklärung von ­nationalen Teilen europäischer Patente (nicht aber von Einheitspatenten) alternativ auch weiterhin bei nationalen Gerichten oder anderen zuständigen na­tionalen Behörden erhoben werden (Art. 83 EPGÜ). Klagen, die am Ende der Übergangszeit vor einem nationalen Gericht rechtshängig sind, werden durch den ­Ablauf der Übergangszeit nicht berührt. Die Übergangszeit kann unter bestimmten Voraussetzungen um weitere sieben Jahre verlängert werden. 

Inhaber von nationalen Teilen europäischer Patente (nicht aber von Einheits­patenten) können während der Übergangszeit durch eine entsprechende Meldung an das Einheitliche Patentgericht die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts ausschliessen (sogenannter Opt-out), aber nur, wenn zu diesem ­Zeitpunkt noch keine Klage am Einheit­lichen Patentgericht anhängig ist. Das entsprechende europäische Patent un­tersteht dann weiterhin dem bisherigen System. Der Opt-out kann auch wieder zurückgezogen werden.

Sitz und Organisation 

Das Einheitliche Patentgericht umfasst ein Gericht erster Instanz und ein Berufungsgericht. Das Gericht erster Instanz wird zur Beurteilung der oben aufgeführten Klagen zuständig sein. Es umfasst eine Zentralkammer mit Sitz in Paris und zwei zusätzliche Abteilungen in München und Mailand. Die Zentralkammer ist ausschliesslich zuständig für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Patenten und Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten.

Die Vertragsstaaten können für ihr Staatsgebiet eine oder mehrere Lokalkammern einrichten (vgl. Übersicht in Abbildung 2). Deutschland hat sich entschlossen, nicht weniger als vier Lokalkammern zu schaffen, am Sitz der bekanntesten bis­herigen deutschen Patentverletzungsgerichte. Alternativ können mehrere Vertragsstaaten zusammen eine Regionalkammer schaffen, was bisher Estland, Lettland, Litauen und Schweden mit der nordisch-baltischen Regionalkammer getan haben. Gibt es in einem Vertragsstaat keine Lokalkammer oder Regionalkammer, ist stattdessen die Zentralkammer zuständig. 

Das Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg und ist zuständig für Berufungen gegen Entscheide des Gerichts erster Instanz.

Am Einheitlichen Patentgericht wird zudem ein Mediations- und Schiedszentrum für Patentsachen mit Sitz in Ljubljana und Lissabon eingerichtet. Das Zentrum stellt Dienste für Mediation und Schiedsverfahren in Patentstreitigkeiten, die unter das Übereinkommen fallen, zur Verfügung und unterstützt damit die Bei­legung von Patentstreitigkeiten im Wege eines Vergleichs. In Mediations- und in Schiedsverfahren darf ein Patent aber weder für nichtig erklärt noch beschränkt werden.

Die Richter 

Das Gericht setzt sich aus rechtlich qua­lifizierten Richtern und aus technisch qualifizierten Richtern zusammen. Die Richter werden für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt, wobei eine Wie­derernennung zulässig ist. Der Verwaltungsausschuss des Einheitlichen Patentgerichts, der sich aus je einem Vertreter der Vertragsstaaten zusammensetzt, ernennt auf Grundlage einer Empfehlungsliste eines Beratenden Ausschusses einvernehmlich die Richter des Gerichts. 

Aktuell sind 34 rechtlich qualifizierte Richter ernannt worden sowie 51 technisch qualifizierte Richter in den fünf technischen Gebieten Biotechnologie, Chemie/Pharmazie, Elektrizität, Maschinenbau und Physik. Die technisch qua­lifizierten Richter üben ihre Funktion im Nebenamt aus und sind hauptberuflich zum Grossteil als freiberufliche Patent­anwälte tätig.

Die Spruchkörper des Gerichts erster ­Instanz sind multinational zusammengesetzt und bestehen grundsätzlich aus drei Richtern. Die Spruchkörper der Zentralkammer umfassen immer einen technisch qualifizierten Richter. Die Spruchkörper der Lokalkammern und Regio­nalkammern können auf Antrag einer Partei um einen technisch quali­fizierten vierten Richter erweitert werden. Den Vorsitz in jedem Spruchkörper führt immer ein rechtlich qualifizierter Richter.

Die Spruchkörper des Berufungsgerichts tagen in einer multinationalen Zusammensetzung aus grundsätzlich fünf Richtern. Ein Spruchkörper besteht jeweils aus drei rechtlich qualifizierten Richtern, die Staatsangehörige unterschiedlicher Vertragsstaaten sein müssen, und zwei technisch qualifizierten Richtern, die über eine entsprechende Qualifikation und Erfahrung auf dem betreffenden ­Gebiet der Technik verfügen. Den Vorsitz führt ein rechtlich qualifizierter Richter.

Anwendbares Recht

Das Einheitliche Patentgericht stützt sich bei seinen Entscheidungen in Rechts­streitigkeiten insbesondere auf das EU-Recht, das EPG-Übereinkommen selbst und das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ). Letzteres regelt die Erteilung europäischer Patente und definiert ins­besondere die Voraussetzungen für ein rechtsgültiges europäisches Patent. Die rechtlichen Grundlagen für die Beurteilung von Patentverletzungen hingegen sind im EPGÜ geregelt, nämlich das Recht des Patentinhabers auf das Verbot der ­Benutzung der Erfindung (Art. 25, 26, 30 EPGÜ) und die Beschränkungen der Wirkungen des Patents (Art. 27–29 EPGÜ). 

Im Gegensatz zu den beiden EU-Ver­ordnungen 1257/2012 und 1260/2012, welche das Einheitspatent begründen, handelt es sich beim EPGÜ nicht um EU-Recht im eigentlichen Sinne. Auch wenn EU-Recht immer Vorrang hat – wie es auch bei nationalen Gesetzen der EU-­Mitgliedstaaten der Fall ist –, muss deshalb das Einheitliche Patentgericht dem Europäischen Gerichtshof, der obersten Gerichtsinstanz der EU, keine Fragen zur Auslegung des EPGÜ vorlegen, ausser es geht um Fragen des EU-Rechts. 

Hier unterscheidet sich die Situation beispielsweise vom Markenrecht, wo die ­EU ein eigentliches Markenrecht auf EU-Ebene geschaffen hat und wo die na­tionalen Markenschutzgesetze der EU-Mitgliedstaaten die entsprechende EU-Markenrichtlinie umsetzen. Dieser Unterschied war von den Gesetzgebern gewollt, da bei der Ausarbeitung des Einheitspatentsystems eine Verlängerung der Verfahrensdauer durch das Mitein­beziehen des Europäischen Gerichtshofs befürchtet wurde. Entsprechend wurden die materiellen Bestimmungen zur Beurteilung von Patentverletzungen im EPGÜ definiert anstatt in einer EU-Verordnung.

Relevanz für die Anwender

In das Einheitliche Patentgericht werden seitens der Anwender, sowohl der Patentinhaber als auch der potenziellen Gegner in einem Patentverletzungsverfahren, einige Hoffnungen gesetzt. Zum einen wünscht man sich eine voraus­sehbarere und einheitlichere Rechtsprechung, als es bei dem bisherigen System mit vielen verschiedenen nationalen Gerichten mit eigener Rechtsprechungs­praxis der Fall war. 

Zum anderen erhofft man sich schnellere und kostengünstigere Verfahren. Ob das Einheitliche Patentgericht diese Erwartungen erfüllen kann, muss sich ­jedoch erst noch zeigen. Insbesondere sind einige im Patentbereich ebenfalls relevante Staaten wie Grossbritannien, Spanien und die Schweiz nicht Teil des neuen Systems und werden es im Fall der Nicht-EU-Staaten auch nie werden können.

Klar ist jedoch, dass es für einen Pa­tentinhaber zukünftig einfacher werden wird, ein Patent in mehreren Ländern gleichzeitig durchzusetzen, vorausgesetzt sie sind Teil des Einheitspatent­systems. Dies ist insbesondere für KMU relevant, die es sich oft nicht leisten können mehrere Patentverletzungsverfahren gleichzeitig zu führen. Gleichzeitig steigt auch das Risiko, da das betreffende Patent dann auch durch eine einzige Entscheidung in mehreren Ländern wegen mangelnder Patentfähigkeit für nichtig erklärt werden kann. 

Zusammenfassung

Das Einheitliche Patentgericht tritt für europäische Patente an die Stelle der bisher für Patentstreitigkeiten zuständigen nationalen Gerichte der 17 Vertragsstaaten des neuen Einheitspatentsystems. 

Das Einheitliche Patentgericht bietet Patentinhabern die Chance auf eine effek­tivere und effizientere Durchsetzung ihrer Rechte und der Öffentlichkeit die ­Aussicht auf eine einheitliche und voraussehbare Rechtsprechung im Patent­bereich.

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