Recht

Revidiertes Zolltarifgesetz

Neues Zollgesetz bringt Chancen für Schweizer KMU

Seit dem 1. Januar 2024 werden auf die meisten Industrieprodukte keine Einfuhrzölle mehr erhoben. Welche Industriezweige profitieren am meisten von dieser Änderung? Mit welchen Auswirkungen müssen KMU rechnen, und welche Massnahmen sollten sie ergreifen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
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Die Schweiz ist seit Langem eine Hochpreisinsel. Höhere Lohnkosten und Handelshemmnisse wie Zölle führen dazu, dass in der Schweiz im Vergleich zum ­Ausland für das gleiche Produkt höhere Preise verlangt werden. Mit dem revidierten Zolltarifgesetz, das Anfang Jahr in Kraft getreten ist, werden bei der Einfuhr von Industrieprodukten keine Zölle mehr erhoben. Betroffen sind beispielsweise pharmazeutische Erzeugnisse, Glas, Edelsteine, Seide, aber auch Konsumgüter wie Autos oder Haushaltsgeräte. Ausgenommen von der neuen Regelung sind Ag­rarprodukte und Fischereierzeugnisse.

KMU profitieren besonders

Der Wegfall der Zölle hat zwei Haupt­effekte: Erstens kosten Importe weniger, und zweitens nimmt der administrative Aufwand für Unternehmen und Bund ab. Der zollfreie Import bedeutet nämlich, dass diese Produkte nicht mehr einem Freihandelsabkommen unterstehen und Allgemeine Präferenzsysteme (APS) für Waren aus Entwicklungsländern nicht mehr relevant sind. Solche Abkommen und diverse APS verpflichten importierende Unternehmen, den Ursprung der Produkte anzugeben. Mit der neuen Regelung ist dies jedoch nur noch in Ausnahmefällen nötig – zum Beispiel, wenn die Ware in der Schweiz nicht gross verarbeitet und wieder in bestimmte Länder exportiert wird. Diese administrative Entlastung kommt vor allem KMU zugute, denn kleinere Unternehmen haben oft keine interne Zollabteilung und müssen ihr Zollwissen einkaufen. Diese externen Kosten dürften mit dem geänderten Zollgesetz grösstenteils wegfallen.

Die grössten Kostensparer

Wie bei jeder Gesetzesänderung gibt es Bereiche, die mehr profitieren als andere. Das Beratungsunternehmen Accenture hat analysiert, welche Güter und Industriezweige am meisten einsparen können. Dafür wurde für 12 Gruppen von Gütern berechnet, wie sich der Importpreis durch den Wegfall der Importzölle verändert. Als Basis der Berechnungen dienen die Importmengen aus 2022.

Die grösste Kostenreduktion in Franken pro 100 kg importierte Ware ist bei der Gruppe «Textilien, Bekleidung und Schuhe» festzustellen, gefolgt von der Gruppe «Verschiedene Waren» (zum Beispiel Musikinstrumente, Einrich­tungs­gegenstände, Spielzeug, Sport­geräte). Die Gruppe mit der kleinsten Kostenreduktion ist «Präzisionsinstrumente, Uhren und Schmuck» (siehe Abbildung 1).

Vergleicht man allerdings die gesamten Kosteneinsparungen innerhalb eines ­ganzen Jahres, liegen die Güter Steine und Erde deutlich vorne (Abbildung 2). Die Textilien belegen den zweiten Platz, während Uhren und Schmuck die geringsten jährlichen Kosteneinsparungen aufweisen.

Was bedeutet dies nun für die Schweizer Wirtschaft? Unternehmen, deren Wertschöpfungskette mit Steinen, Erde, Textilien und Schuhen zusammenhängt, profitieren am meisten vom neuen Zollgesetz. Da die Bauindustrie auf Steine und Erde angewiesen ist, ist es möglich, dass die Zollaufhebung zu einer verstärkten Bautätigkeit führt. Unter Steine und Erden fallen aber auch Edelsteine und Diamanten, hier kann die Luxusgüter- und Schmuckindustrie profitieren.

Die kostengünstigere Einfuhr von Tex­tilien und Schuhen kann ebenfalls tiefgreifende Auswirkungen haben. Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie haben nun die Möglichkeit, ihre Produktionskosten erheblich zu senken, wodurch die Schweiz als Produktionsstandort attraktiver wird. In Zeiten, in denen Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend Wert auf lokal produzierte Waren legen, erlaubt diese neu gewonnene Wettbewerbsfähigkeit der Branche, ihren Marktanteil zu vergrössern. Sie ­öffnet ausserdem die Tür für eine mögliche Rückkehr von Unternehmen, die zuvor in Länder mit niedrigeren Produk­tionskosten abgewandert waren.

Sekundäre Effekte

Langfristig betrachtet, werden sich nicht nur Industrien, welche Importprodukte weiterverarbeiten, das revidierte Gesetz zunutze machen können. Indirekt werden auch die Logistikbranche und die Konsumenten Nutzniesser der neuen ­Regelung sein. Mit der Abschaffung der Zölle würden langfristig mehr Waren ­importiert. Um den Transport dieser zu­sätzlichen Güter sicherzustellen, wird die Logistikbranche verstärkt gefordert und wird mit mehr Aufträgen rechnen können. Auf Konsumentenseite ist zu erwarten, dass sich die tieferen Produktionskosten in tieferen Preisen bei den End­produkten niederschlagen. Daher könnte der Konsum von in der Schweiz produzierten Waren steigen.

Handlungsempfehlungen

KMU, besonders KMU in der Bau- oder Textilbranche, sind die Gewinner der Zollabschaffung. Doch was sollten Un­ternehmen beachten, um das Bestmögliche aus der Anpassung herauszuholen? Die Aufhebung der Zölle auf bestimmte Industrieprodukte bedeutet zwar eine Chance für Kosteneinsparungen, jedoch ist wichtig zu erkennen, dass der Be­schaffungsprozess nicht vollständig op­timiert wird. Administrative Tätigkeiten bei der Einfuhr von Waren bleiben bestehen.

Es müssen beispielsweise weiterhin Waren für den Zoll angemeldet, das passende Zollverfahren ausgewählt und die relevanten Papiere archiviert werden.

Mit dem Eintritt der Schweiz in die zollfreie Landschaft verlagert sich allerdings der Fokus von Unternehmen von sofortigen finanziellen Gewinnen auf strategische Massnahmen, die für nachhaltiges Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sind. KMU sollten daher einen strategischen und proaktiven Ansatz verfolgen. Dieser beinhaltet unter anderem, dass man sich über die administrativen Anforderungen auf dem Laufenden hält.

Ausserdem ist es wichtig, in Schulungsprogramme und robuste interne Prozesse zu investieren, um die neuen Zollanfor­derungen nahtlos zu meistern. Hilfreich ist zudem, in einen kontinuierlichen Dialog mit Interessengruppen einzutreten, um sich über aktuelle Entwicklungen und eigene Erfahrungen austauschen zu können. Langfristig sind Innovationen in der Lieferkette zur Steigerung der Effizienz und die Integration von Technologien, um Veränderungen im Konsumentenverhalten zu antizipieren, unausweichlich.

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