Interviews

Interview mit David Bosshart

«Wir sind Wohlstandsmanager, keine Krisenmanager»

David Bosshart, CEO des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, über die Abkehr vom traditionellen Konsum, Faktoren für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Wandel und die Notwendigkeit kompromissvollen Handelns von Unternehmen und Politik.
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Das GDI versteht sich als Denkfabrik. Welche Gedanken, respektive Themen, sind beim GDI besonders aktuell und welche Ideen stammen noch von dem Gründer Gottlieb Duttweiler?

Wir wollen genau verstehen, wie die neuen Technologien – heute insbesondere Künstliche Intelligenz und Machine Learning – Handel, Wirtschaft und Gesellschaft verändern und was das für künftige Strategien und menschliches Verhalten heisst. Dazu machen wir Eigen- und Auftragsstudien für Kunden, internationale Veranstaltungen, Workshops und Referate. Der gemeinsame Nenner von «Dutti» ist natürlich das soziale Unternehmertum: Wir wollen Wettbewerb der Unternehmen, aber immer auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Folgen.

Das GDI publizierte eine Studie «Das Ende des Konsums». Was genau ist darunter zu verstehen?

Wir gehen davon aus, dass Daten immer wichtiger werden: Tracking und Messen, Vorhersehen und Beeinflussen. Wer qualitativ bessere Daten hat, und damit das Einkaufsverhalten besser abschätzen kann, der gewinnt. Amazon oder Facebook oder Google haben hier einen enormen Vorsprung, sie wissen mehr über uns als FBI und CIA zusammen. Die Bewertungen der wichtigsten Handelsfirmen gehen längst in diese Richtung: Wer beherrscht Datenhorten und Number Crunching am besten? Denn dadurch werden Personalisierung und Vorhersage einfacher. Wir können also immer mehr Bereiche automatisieren, weil Algorithmen Verhaltensmuster erkennen. Händlern erlaubt das, ihre ganze Logistik darauf einzustellen. Und das ist wichtig, schliesslich werden Kaufen und Verbrauchen dank der bald allumfassenden digitalen Vernetzung immer mehr entortet: Mein Sofa ist Kino und Restaurant zugleich, der Zug ein Supermarkt. Konsum in der traditionellen Form, dass jemand ein Bedürfnis hat, einen Anbieter sucht und dann irgendwann kauft, gehört der Vergangenheit an. Früher wurde in der Werbung alles gemacht, um Kunden zu verführen und zum Kauf zu animieren. Heute können das die Algorithmen schneller und direkter.

Hat sich seit der «Greta»-Bewegung im Konsumverhalten der Konsumenten etwas geändert, vor allem bei den Jugendlichen? 

Nicht wirklich, am wenigsten beim Fliegen. Historisch betrachtet, bringen Moralisierungen und abstrakte Forderungen wie Totalverbote wenig, wenn sie nicht mit ganz konkreten prag­matischen Lösungsansätzen kombiniert werden. Es bleibt dann bei Schuldzuweisungen und Verdächtigungen. Verzicht alleine mag ja in hoch entwickelten, reichen Gesellschaften gewisse Segmente ansprechen. Aber selbst bei diesen sind die Taten alles andere als konsistent. Anscheinend fliegen in Deutschland parteipolitisch ausgerechnet die Grünen am meisten. 

Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für den Handel?

Der Druck, messbare Fortschritte zu erzielen, nimmt im ganzen Bereich der Nachhaltigkeit zu. Das geht in der Praxis aber nur, wenn die USA Leadership zeigen und mit China und – inzwischen mindestens so wichtig – Indien Einigungen treffen können, die auch zu umsetzbaren Massnahmen führen. Europa ist ja bislang nicht gerade ein Vorbild, was die Taten angeht. Die Ernährung zum Beispiel wird sich über die nächsten zehn bis zwanzig Jahre komplett ändern. Molkereiprodukte oder Fleisch werden teurer, Fleischersatzprodukte und vor allem Laborfleisch billiger und bezüglich Energie-, Wasser und Flächen­bedarf interessanter. Bislang orientiert man sich mehr an der Tagespolitik; man verbietet etwa Plastik, weil das alle anderen auch tun. Das ist sinnvoll, aber Konzepte zur nachhaltigen Eindämmung von Food-Waste gibt es kaum. Wo wir an einem Ort einsparen, nimmt der Abfall andernorts zu. Der Megatrend der Convenience treibt etwa bei vorbereiteten und zubereiteten Mahlzeiten – ready to eat, ready to heat etc. – die Abfallmengen weiter in die Höhe. Bequemlichkeit hat ihren Preis.

Welches Szenario halten Sie bereit, wenn es generell um zukünftige Mobilität geht?

Mobilität und Energie gehören unlösbar zusammen, und beide wiederum müssen von der Vernetzung der Daten getrieben sein, die erst ein Mikro- und Makromanagement ermöglichen. Wenn wir erneuerbare Energie ernst nehmen, müssen auch die nötigen Infrastrukturen wie Grid und dezentrale Steuerung als selbstverständlich vorausgesetzt werden können. In den Städten machen in einem nächsten Schritt Elektromobilität, eine Vielfalt von Mobilitätsträgern sowie vor allem Bikes Sinn. Auf dem Lande wird man noch eine Weile mit dem Auto und dem Verbrennungsmotor leben. Und in der Landwirtschaft, etwa bei Offroadern, macht E-Mobilität häufig keinen Sinn. Die Zukunft aber gehört mehr der Vielfalt an Antriebssystemen.

Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage in Europa und der Schweiz ein, vielleicht im Hinblick auf die nächsten fünf Jahre?

Wir hängen immer mehr von Umständen ab, die wir nur noch bedingt kontrollieren können. Für die Schweiz mache ich mir – relativ zu unseren europäischen Nachbarn gesehen – keine unlösbaren Sorgen. Aber die Lokomotiven der Vergangenheit, nämlich Deutschland, Frankreich, England, sind in keinem bemerkenswerten Zustand. Und die USA werden über die kommenden Jahre eher durch unberechenbaren Wandel definiert als durch Stabilität. Wenn es uns in der Schweiz gelingt, eine starke Mittelschicht zu halten, haben wir keinen Populismus und keine implodierenden Institutionen. Das wäre schon einmal ein Glücksfall. Kontinuierliche Aus- und Weiterbildung sind ein notwendiger, aber nicht hinreichender Faktor für erfolgreichen Wandel. Wir müssen die starken Nischen weiter besetzen, etwa in der Sensorik, in der Automatisierung oder in der Robotik. Und wir müssen für Altersvorsorge, Gesundheit und Sicherheit neue Ideen und Konzepte entwickeln. Noch haben wir das Geld – vermutlich sogar viel zu viel. Denn wenn es gut geht, schiebt man wichtige Fragen oft in die nächste Generation ab. 

Zukunftsforscher sehen in der digitalen Transformation eine Veränderung, die in Wirtschaft und Gesellschaft keinen Stein auf dem anderen lassen werde. Sehen Sie das auch so drastisch? Und was raten Sie Unternehmern, die nicht sicher sind, wie sie auf diese Veränderungen reagieren sollen?

Das ist eine Frage der Zeitdimension und des Betrachters. Wir in der Schweiz, insbesondere die seit dem Zweiten Weltkrieg Geborenen, haben nur noch Wohlstand und Frieden gekannt. Wir sind Wohlstandsmanager, keine Krisenmanager. Die kleinsten Abweichungen empfinden wir als grosse Zumutung. Aber die industrielle Revolution, die in England im 19. Jahrhundert einsetzte und politisch brutal durchgesetzt wurde, hat über Jahrzehnte schlechte Arbeitsbedingungen und Elend für die Arbeiter gebracht. Als die Eisenbahnen eingeführt wurden, gab es eine Welle politischer Skandale und finanzieller Korruption. Die Menschen befürchteten, ausländische Ware werde heimische Produkte überflüssig machen. Heute kann niemand sagen, was es bedeutet, wenn China und der asiatische Raum vielleicht die Rolle übernehmen, die die USA nach 1945 spielten. Gewiss scheint mir: Wie Unternehmen und Politik und Belegschaft klug zusammenarbeiten, wie man mit Kompromissen zwischen Positionen vorankommt oder nicht, wird entscheidend sein.

Welche Herausforderungen betrachten Sie generell als die grössten für Unternehmen?

Gute Leute zu finden, gute Führungskräfte zu entwickeln, und die auch zu halten.

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