Interviews

Interview mit Dalith Steiger und Andy Fitze

Unser Land hat die besten Zutaten für eine «AI Schweiz»

Dalith Steiger und Andy Fitze, Gründer und Managing Partner von Swiss Cognitive, über die Entwicklung von Artificial Intelligence (AI), die Vorteile globaler Vernetzung und die Notwendigkeit, Unternehmen über die Chancen durch die künstliche Intelligenz aufzuklären.
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Frau Steiger, Herr Fitze, mit welcher Intention haben Sie Ihr Unternehmen Swiss Cognitive gegründet?
Steiger: Wir sind überzeugt davon, dass die Schweiz ein führendes Kompetenz-Zentrum für künstliche Intelligenz werden kann. In Forschung und Entwicklung, in globalen Unternehmen, KMU und Start-ups ist Artificial Intelligence, AI, bereits ein wichtiger und anerkannter Faktor in der Schweizer Wirtschaft. Die öffentliche Wahrnehmung über die Bedeutung von AI für die Schweiz, ob als Bürger, Kunde oder individuelle Person, ist hingegen noch nicht weit fortgeschritten. Die Schweiz hat ja keine eigenen Rohstoffe und wir sollten uns nicht auf den bisherigen Erfolgsgeschichten wie Bankenwelt, Schokolade und Uhren ausruhen. Für die nächsten Generationen ist die Zukunft nicht sichergestellt, so wie wir das noch erleben durften. Grosses und Neues entsteht durch Visionen und Pioniere, deshalb ruft Swiss Cognitive auf, sich aktiv an der Zukunft zu beteiligen.

Fitze: Wir möchten unseren Kindern und den kommenden Generationen eine Perspektive für die Zukunft bieten. Wir sehen im Zusammenhang mit der globalen Entwicklung von Technologien rund um AI ein grosses Potenzial für die Schweiz. Unser Land hat die besten Zutaten für eine «AI Schweiz», welche international vernetzt, akzeptiert und bewundert wird. Wir glauben dabei ganz besonders an eine starke globale Vernetzung. Dies fördert Diversität, Kreativität und damit eine grös­sere Chance, Grosses zu erreichen.

Welche Ziele hat das Unternehmen und welche Produkte und Dienstleistungen werden besonders gut verkauft?
Steiger: Swiss Cognitive «The Global AI Hub» ist eine Kompetenz-Netzwerkplattform zur künstlichen Intelligenz, KI, und steht insbesondere für einen starken Schweizer Werkplatz. Firmen, Organisationen, Start-ups und Hochschulen aus allen Industrien tauschen sich bei uns offen und transparent zu prak­tischen KI-Anwendungsbeispielen, Entwicklungen und ihren Erfahrungen aus. Die breite Diskussion über ethische Herausforderungen und Implikationen auf die Gesellschaft sind gerade so wichtig wie das Aufzeigen von realen Chancen für neue Geschäftsfelder. Wir besuchen Firmen, halten Vorträge und organisieren Workshops für die Unternehmensleitungen, Verwaltungsräte, für deren Kunden und Mitarbeitenden.

Gibt es Unterschiede bei der Entwicklung der AI in den einzelnen Ländern?
Fitze: Die Entwicklung in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich, aber wichtig ist der gemeinsame Nenner. Alle sehen die Chance, in diesem Rennen um die besten Innovationen rund um die künstliche Intelligenz vorne dabei zu sein. 

Steiger: Wir haben im Rahmen von Horizon 2020 an der ersten Sitzung der europäischen Kommission für die AI-Europa­strategie die Schweiz vertreten. Dabei sind die Länder England, Israel und die Schweiz besonders positiv aufgefallen. In der Schweiz ist seit drei Jahren ein richtiger Boom entstanden rund um AI. Sicherlich hat dazu auch Swiss Cognitive mit ihren Kampagnen beigetragen. Darauf können wir stolz sein, und das dürfen wir ruhig global bekannt machen. Wir haben für Unternehmen aller Grössenordnungen ein äusserst kompetitives und innovatives Umfeld. Dies wirkt sich auch positiv auf die Attrak­tivität für Talente aus. 

Was denn konkret?
Fitze: Universitäten und Akademien in der Schweiz betreiben hochrangige und weltweit anerkannte multidisziplinäre Entwicklungen. Es gibt im Bereich AI noch viel zu forschen, zum Beispiel über Algorithmen und klassisches Engineering. Dazu ist es wichtig, dass sich die AI praktisch anwenden lässt in verschiedenen Industriebereichen und mit hochkompetitiven neuen Technologien wie zum Beispiel Blockchain. Die Entwicklung der letzten Jahre rund um Deep Learning ist enorm und eröffnet komplett neue Anwendungsbereiche in hochkomplexen Datenräumen. 

Also zum Beispiel die Anwendung von Quantencomputern?
Fitze: So weit sind wir noch nicht, dass man Quantencomputer industriell anwenden kann.

Steiger: Wir reden lieber über praktische Anwendungen der technologischen Entwicklung. Zum Beispiel die Verbesserung der Früherkennung des grünen Stars und die damit verbundene Reduktion von Erblindungen. 

Das Unternehmen Swiss Cognitive wird als Netzwerk bezeichnet. Wie funktioniert das?
Fitze: Wir binden unsere Partner in unser Netzwerk ein. Es geht dabei nicht um uns, sondern darum, dass wir unsere Kunden durch unser ökologisches System stärker machen.

Steiger: Darunter verstehen wir einen Austausch, in dem alle unsere Kunden miteinander agieren. Die Schweiz ist ein Land von KMU und das ist unsere Stärke. Es ist wichtig, dass wir den Zugang zu den kognitiven und smarten Technologien finden. Vor allem ist es wichtig, dass unsere KMU die Technologien, die heute schon auf dem Markt sind, kennen und anwenden lernen und wie sie damit ihr Business revolutionieren können. Ich gebrauche absichtlich nicht das Wort Disruption, das ist negativ besetzt. Es geht nicht nur um Optimierung und Effizienzsteigerung, sondern um das Potenzial neuartiger Geschäftsmodelle.

Fitze: Die Digitalisierung dient den KMU dazu, smarte Produkte zu entwickeln und auch herkömmliche Produkte intelligenter zu gestalten.

Gerade im Gesundheitsbereich ist das aber aus Datenschutzgründen heikel. Wie vereinbaren Sie AI mit den Datenschutzvorschriften?
Steiger: Man sollte die Leute belohnen, die für medizinische Forschungen ihre Daten zur Verfügung stellen, zum Beispiel durch niedrigere Krankenkassenprämien und auf keinen Fall noch bestrafen, indem man diese erhöht oder die betreffenden Personen gar aus der Versicherung ausschliesst.

Fitze: Datenschutz ist wichtig, dadurch entsteht Rechtssicherheit. Die wichtigen Fragen sind: Wie handle ich, wenn ich Daten besitze? Weiss ich, was mit den Daten passiert? Wir müssen uns darüber klar sein, dass man heute gläsern und transparent ist, zum Beispiel bei sozialen Medien. Wenn man mit AI Daten auswertet, hat man die Chance zu mehr Objektivität. Nehmen wir das Beispiel Stellenbewerbung. Der Personalleiter selek­tioniert gemäss seinen Massstäben und seinem Gutdünken. Wenn man den Prozess in Algorithmen umsetzt, kommt es auf die Kriterien an, die man diesen zugrunde legt. AI ist eine Chance für uns, solche Prozesse fairer zu gestalten. 

Steiger: Die AI zwingt Menschen, über moralische und ethische Normen nachzudenken, darüber, was richtig und falsch ist. Das ist gesund für die Gesellschaft. Wir sind durch die AI weniger einer Einzelperson ausgeliefert, die über uns entscheidet und das auch nach Sym- oder Antipathie, sondern können objektivere Massstäbe setzen. Beispiele: Ein Ingenieurbüro stellte Videoaufnahmen her für den HR-Auswahlprozess. Dieses Prozedere schied die Frauen in der ersten Runde aus, da bei den Videoaufnahmen nie eine Frau zu sehen war. Daraus können wir lernen, den Set-up so zu wählen, dass er auch Frauen akzeptieren kann. Mittels Texterkennung gibt es die Möglichkeit für Anwälte, die richtigen Gerichtsverhandlungen für einen bestimmten Fall auszusuchen, vom Algorithmus ein Resultat zu bekommen und dieses dann nach gesundem Menschenverstand auszuwerten. So spart man viel Zeit.

Wie wirkt sich die KI auf die Arbeitsplätze aus? 
Steiger: Da gibt es viele Möglichkeiten. Wir haben zum Beispiel eine soziale Fürsorgepflicht gegenüber Menschen mit Behinderungen. Kognitive Technologien ermöglichen solchen Menschen den Einstieg in die Arbeitswelt, fördern ihren Wiedereinstieg und bieten ihnen die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz zu behalten oder einen neuen zu finden. Es gibt zum Beispiel ein spezielles Armband für Menschen mit Parkinson, das ihnen erlaubt, ruhig zu schreiben oder zu zeichnen. Das kann etwa einem Grafiker er­lauben, seinen Beruf weiter ausüben zu können. Dank solchen Technologien könnte man auch bei der IV viel Geld sparen. 

Wie beurteilen Sie den Reifegrad der KMU in Bezug auf künstliche Intelligenz?
Fitze: Wir verfügen schon über gute industrielle Anwendungen der AI, jetzt ist die richtige Zeit, um auf den Zug aufzuspringen. Die Geschwindigkeit in anderen Ländern wird erhöht, und unsere KMU können die Chance packen. Zum Beispiel können die Verbände die KMU in dem Bereich fördern. Wichtig ist die Weiterbildung, man muss herausfinden, was sinnvolle erste Schritte sein können. 

Welche Tipps würden Sie den KMU geben, um sich auf die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz vorzubereiten?
Steiger: Bei solchen Fragen macht die Technologie nur 10 Prozent aus und bei 90 Prozent geht es um die Menschen. Sehr wichtig ist die Aufklärung, was heute möglich ist. Heute haben viele Leute Angst vor neuen Entwicklungen, die aber oft auf Eindrücken basieren, die man durch die Medien bekommt, zum Beispiel den Eindruck, dass Roboter den Job wegnehmen. Für vieles werden Algorithmen benutzt, zum Beispiel wenn man etwas bestellt und dann die Information bekommt, welche Produkte auch noch in Frage kämen. Es braucht in den Unternehmen Aufklärung durch die Geschäftsleitung oder den Verwaltungsrat darüber, was möglich ist, welche Schritte unternommen werden und welche Chancen für die Mitarbeitenden be­stehen. Der Einsatz neuer Technologien hat oft auch positive Auswirkungen. Man muss sich auch darüber informieren, was die Angestellten gern und weniger gern machen. 

Fitze: Das ist wie beim Glas, das man als halb voll oder halb leer betrachten kann. Wir sind dafür, diese Entwicklungen positiv und als Chance zu sehen. Ganz wichtig: Die KMU können den ersten Schritt tun, bevor es andere machen. Man kann zum Beispiel mit Hochschulen praktische Partnerschaften eingehen. Ich rate den KMU, nicht in erster Linie hohe Effizienz anzustreben, sondern in verbesserte, zum Beispiel selbstlernende Produkte zu investieren, die einen Mehrwert generieren. Zum Beispiel Werkzeuge, diese kann man so konstruieren, dass sie die Arbeit erleichtern, indem sie Informationen verarbeiten. Oder man kann die Logistik verbessern. 
 
Frau Steiger, Sie gehören zu den «Top 10 Women Influencer in AI». Hat diese Auszeichnung für Ihre Kundinnen und Ihre Mitarbeiterinnen eine besondere Bedeutung?
Steiger: Ich bin Mutter von zwei Teenagermädchen. Selber habe ich Mathematik studiert und mein Leben lang in einer Männerwelt gearbeitet. In Bezug auf diese Nominierung ist mir wichtig, als Rollenmodell insbesondere für junge Frauen und Wiedereinsteigerinnen zu dienen. Ich betrachte die Entwicklung durch die neuen Technologien als Chance für Männer und Frauen. Kreative Denkweisen zur Entwicklung neuer Geschäftsbereiche und Modelle sind gefragt. Das Argument der fehlenden Erfahrung ist nicht mehr so gewichtig. Es ist für die meisten Neuland. Wir müssen kreativ und offen für neue Ansätze sein, uns austauschen und Partnerschaften mit un­seren Kunden respektive Zulieferern bilden. Dafür haben wir Frauen sicher viel Talent. 

Also fördern diese Technologien auch die flexible Arbeitszeit, mit deren Einführung es seit 30 Jahren immer wieder hapert?
Steiger: Ein wichtiger Punkt. Technologischer Fortschritt fördert oft Flexibilität und Zeitersparnis. Früher hat man zum Beispiel 16 Stunden pro Tag gearbeitet, heute nur noch acht. Wer sagt denn, dass wir in Zukunft immer noch so viel arbeiten müssen. Vielleicht schaffen wir dieselbe Leistung mithilfe von neuen Technologien in fünf Stunden, verdienen aber immer noch gleich viel.

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