Digitalisierung & Transformation

Digitale Veränderungen (Teil 4 von 6)

Digitales Handeln für nachhaltige Wettbewerbsvorteile

Die rasch voranschreitende digitale Transformation erfordert, dass Unternehmen schnell handeln. Es werden vier Ansatzpunkte für digitales Handeln vorgeschlagen, welche sich bezüglich ihres Potenzials unterscheiden, (nachhaltige) Wettbewerbsvorteile aufzubauen, aber auch im Hinblick auf das damit verbundene Risiko.
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Um in einem künftigen digitalen Wett­bewerb mitzuspielen, müssen Unternehmen heute schon handeln. Doch wo können konkrete Aktivitäten ansetzen? Und welche Handlungen führen zu welchen strategischen Konsequenzen?


Digitale Möglichkeiten


Für Unternehmen geht es unter anderem um vier grosse Ansatzpunkte: digitale Produkte und Services, digitale Prozesse und Entscheidungen, digitale Geschäftsmodelle (siehe auch Matzler et al., 2016; Porter & Heppelmann, 2014, 2015) sowie digitale Kompetenzen. Jede dieser Massnahmen erfordert ein unterschiedliches Ausmass an Aufwand, und auch die Möglichkeit, (nachhaltige) Wettbewerbsvorteile zu erzielen, unterscheidet sich.

Digitale Produkte oder Services


Digitale Produkte oder Services sind für viele Unternehmen der Einstieg in die digitale Welt. Viele digitale Produkte sind daher auch schon im unternehmerischen oder privaten Alltag etabliert. Eine zentrale Rolle nehmen Sensoren ein, die in alle möglichen Produkte integriert werden und so kontinuierlich auch alle Arten von Daten sammeln können. Denkbar ist es auch, Funktionen bisher voneinander unabhängiger Produkte miteinander zu verknüpfen wie beispielsweise bei der Smart-i-Wall der Schweizerischen Amina Products (Amina Products, 2018). Da­hinter verbirgt sich eine mobile und inter­aktive räumliche Glastrennwand, welche bei Bedarf die Funktionen eines Bildschirms oder Touchscreens übernehmen kann. Die Glaswand kann beispielsweise als Präsentationsfläche für Grafiken, Videos, Präsentationen oder anderes genutzt werden. Wird sie nicht gebraucht, so sieht sie aus wie eine gewöhnliche Glasscheibe (Amina Products, 2018).

Digitale Prozesse


Digitale Prozesse verknüpfen räumlich verteilte und autonome Produktionsressourcen und ihre Planungs- und Steuerungssysteme miteinander, zum Beispiel Roboter, Produktionsmaschinen und Logistiksysteme. Eine Vielzahl von Da­ten und der Einsatz von Sensoren ermöglichen automatisierte Bestellvorgänge oder eine vorausschauende Instandhaltung von Maschinen. Prozesse können schneller, effizienter, zuverlässiger und kostengünstiger gestaltet werden. Digitale Prozesse führen daher vor allem zu Produktivitätssteigerungen. In Kombination mit Sensoren und digi­talen Produkten ermöglichen sie zudem das Sammeln und Auswerten digitaler Daten, wie zum Beispiel Daten über aktuelle oder potenzielle Kunden. In vielen Unternehmen werden heute schon zahlreiche Daten gewonnen und gespeichert, aber häufig nicht systematisc ausgewertet. Unternehmen sind sich dabei oft nicht bewusst, welche Daten vorhanden sind, wo sie liegen oder wie diese gewonnen werden können.

Digitale Geschäftsmodelle


Digitale Geschäftsmodelle gehen einen Schritt weiter. Digitale Lösungen spielen darin nicht nur eine Nebenrolle in der bisherigen Geschäftslogik, sondern sie nehmen eine herausragende Position ein. Das heisst, die Art und Weise, wie das Geschäft funktioniert, wird anhand di­gitaler Möglichkeiten grundlegend hinterfragt und ggfs. neu geordnet. Dies kann dazu führen, dass ein vollständig neues Verständnis der Funktionsweise des Unternehmens und dessen Interaktion mit externen Partnern entwickelt und umgesetzt werden muss.

Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Zusammenhang die Art und Weise ein, wie Erträge generiert werden. Digitale Geschäftslogiken machen erst dann Sinn, wenn sie auch in stabile Ertragslogiken transformiert werden können, also für einen kontinuierlichen Ertragsstrom sorgen. Die grossen Technologieunternehmen machen dies seit Jahren erfolgreich vor. So hat Google die traditionellen Rollen von Kunden und Lieferanten auf den Kopf gestellt: Lieferanten von Daten sind alle Personen, welche die Suchmaschine oder andere Google-Dienste in Anspruch nehmen, Kunden sind alle diejenigen, die Anzeigen auf den Websites schalten und dafür sorgen, dass Google Erträge generiert.

Das Sammeln von grossen Datenmengen, «Big Data», ist eine Möglichkeit, ein di­gitales Ertragsmodell aufzubauen. Die Herausforderung liegt meist darin begründet, vertraute Sachverhalte neu zu denken. Doch genau diese Kompetenz braucht es im Umgang mit digitalen Möglichkeiten.

Konsequenzen


Generell gilt für digitale Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle (siehe auch Abbildung 1, sowie Matzler et al., 2016): Je stärker die mit der Digitalisierung verknüpfte Veränderung im und für das Unternehmen, desto …

  • … grösser und/oder nachhaltiger können die damit erzielten Wettbewerbsvorteile sein.
  • … grösser ist das mit der Veränderung verknüpfte Risiko.
  • … mehr Ressourcen müssen zunächst investiert werden.
  • … bessere digitale Kompetenzen braucht es, um die Vorteile nachhaltig zu nutzen.

Digitale Produkte oder Services


Digitale Produkte bieten im Vergleich zu digitalen Prozessen und Geschäftsmodellen also nur eine begrenzte Möglichkeit, dauerhaft Wettbewerbsvorteile aufzubauen, sie können daher oft auf einfache und schnelle Weise kopiert werden. Für digitale Services gilt dies in abgeschwächter Form, sie sind meist komplexer als Produkte. Digitale Prozesse können im Vergleich zu Produkten generell höhere Einstiegsbarrieren für Wettbewerber generieren. Dies zum Beispiel, indem komplexe Prozesse auch mit externen Kooperationspartnern wie Kunden oder Lieferanten erst aufgebaut oder Daten zur Auswertung zunächst erst generiert werden müssen. Auch können fehlende Software- oder Business-Analytics-Kenntnisse eine Hür­de im Unternehmen darstellen. Indem Prozesse vor allem auf eine höhere Effizienz von Unternehmen abzielen, werden sie nach einer Einführungsphase einen neuen, tieferen Standard bezüglich Produkt- oder Prozesskosten setzen. Unternehmen gelingt es dann kaum mehr, durch digitale Prozesse Vorteile im Wettbewerb zu erzielen. Dies gilt insbesondere in einem Hochpreisland wie der Schweiz.

Digitale Prozesse


Digitale, automatisierte Prozesse helfen dann vor allem, die Kosten im Unternehmen zu senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es kann davon ausgegangen werden, dass solche kostensenkenden Massnahmen auch von den Wettbewerbern vorgenommen werden und sich in der Folge ein neuer Kostenstandard in den jeweiligen Branchen einpendeln wird. Diese Massnahme wird dann zu einer Notwendigkeit, um sich im Wettbewerb zu behaupten, aber der Aufbau von Wettbewerbsvorteilen ist mit ausschliesslich kostensenkenden Massnahmen längerfristig kaum mehr möglich.

Digitale Geschäftsmodelle


Ein grösseres strategisches Potenzial liegt für Unternehmen in digitalen Geschäftsmodellen, welche die bisherige Funktionsweise von Unternehmen mehr oder weniger stark verändern können. Doch sind mit neuen Geschäftsmodellen auch die weitreichendsten Unsicherheiten, Risiken und Investitionen verbunden. Es gibt keine Garantie, dass ein innovatives, digitales Geschäftsmodell auf dem Markt funktioniert. Viele digitale Geschäftsmodelle, die auf einer Plattform aufbauen, sind zudem prinzipiell kopierbar. Digitale Geschäftsmodelle brauchen meist weitere Eigenschaften, welche sie nachhaltig schützen. Dazu gehören neben Grösse, einem klaren Kundennutzen und Netzwerkeffekten auch der gezielte Einsatz digitaler Kompetenzen.

Digitale Kompetenzen


Digitale Kompetenzen brauchen Unternehmen für jeden der genannten (und weiteren) Ansatzpunkte, um digitale Handlungen vorzunehmen. Dabei geht es um das Erkennen, Analysieren, Einordnen und Verarbeiten digitaler In­formationen und die Frage, wie diese im Unternehmen nutzbringend eingesetzt werden können. Je stärker digitale Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind und je besser sie eingesetzt werden, umso eher können daraus Wettbewerbsvorteile gewonnen werden. Denn eine blosse Automatisierung oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann von nahezu allen Unternehmen imitiert werden. Um einen nachhaltigen Vorteil im Wettbewerb zu erzielen, braucht es zudem auch eine Verankerung im menschlichen Handeln.

Erst die Kombination aus digitalen, physischen und menschlichen Aktivitäten ist zum aktuellen Zeitpunkt kaum imitierbar und kann daher einen nachhaltigen Vorteil im Wettbewerb begründen. Diese Wettbewerbsvorteile können also auch in der digitalen Wirtschaft nicht über eine «Abkürzung» erzielt werden. Sie entstehen vielmehr dann, wenn sie mit Aufwand und mit dem Einsatz von Zeit, Geld, Manpower und Unsicherheit verknüpft sind. Abb. 2 fasst die mit den Veränderungen durch die Digitalisierung verbundenen Chancen und Herausforderungen für die vier Ansatzpunkte digitalen Handelns sowie für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen zusammen. Vor diesem Hintergrund sollten sich KMU unter anderem die in Abb. 3 gezeigten Fragen stellen und diese kontinuierlich oder in regelmässigen Abständen im Unternehmen diskutieren und reflektieren.

Ausblick


Gerade KMU müssen nicht jedes Muster der Digitalisierung, das sie bei anderen Spielern entdecken, selbst umsetzen. Ein KMU muss also nicht zu einem «kleinen Google» werden. Sie müssen aber ver­stehen, was um sie herum passiert, wie sich die Spielregeln im Wettbewerb verschieben und eigene Erfahrungen im Hinblick auf die digitale Welt sammeln. Wichtig ist es, zu begreifen, welche Veränderungen die grundlegende Erfolgs­logik prägen. Was macht Firmen im di­gitalen Zeitalter erfolgreich, und warum? Welche digitalen Entwicklungen können durch das eigene Unternehmen als Chance genutzt werden, was kann die eigene Position angreifen herausfordern? Es gilt also, typische Muster des digitalen Wettbewerbs kennen- und interpretieren zu lernen. Im fünften und sechsten Teil dieser Serie wird genauer auf digitale Disruptionen als ein typisches Muster im digitalen Wettbewerb eingegangen. Es wird diskutiert, woran Unternehmen digitale Disruptionen erkennen können.

Porträt