Strategie & Management

Beidhändiges Management

Wie Unternehmer mit Gegensätzen umgehen können

Globalisierung und Digitalisierung sorgen für ein komplexes Umfeld mit neuen Risiken. Wie können Unternehmensführer auf die damit verbundenen Herausforderungen und oft widersprüchlichen Optionen reagieren, ohne einen Kontrollverlust befürchten zu müssen? Eine mögliche Antwort ist das «beidhändige» Management. Der Beitrag zeigt, was dahintersteckt.
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Die gegenwärtige Komplexität und Dy­namik unserer Wirtschaft, die vor allem durch das Zusammenwirken von Digitalisierung und Globalisierung hervorgerufen wurde, konfrontiert Firmen mit nie gekanntem Tempo und unbekannten Risiken. In einem hochkomplexen Umfeld weiss niemand, was ihn morgen oder gar in den nächsten Stunden erwartet. Doch Entscheidungen müssen dennoch getroffen werden, und zwar in immer kürzeren Abständen.

Nicht ohne Grund beklagen Entscheider in der sogenannten vierten industriellen Revolution wachsenden Kontrollverlust. Was ist beim Führen eines Unternehmens richtig und falsch, gut oder schlecht, sinnvoll oder sinnlos? Was macht Unternehmen in dieser turbulenten Epoche zukunftsfähig? Wie können Verantwortliche lernen, mit Komplexität besser umzugehen? Wie können sie Erfolg nachhaltiger machen?

Wer auf Fragen wie diese einfache Antworten liefert, macht sich verdächtig. In einer Zeit, in der Wandel die einzige Konstante zu sein scheint, gilt es mehr denn je, blinde Flecken im Denken und Handeln zu finden und zu beseitigen. Innere Blockaden müssen gelöst werden, damit die Veränderungsphasen positiv erlebt und aktiv gestaltet werden können. Das ist nicht trivial. Mit etwas Distanz zum Tagesgeschehen lässt sich jedoch ein brauchbares Rezept entdecken: Überwindung von Gegensätzen durch Beidhändigkeit. Was hat es damit auf sich?


Denkhorizonte erweitern

Optionen, die man als Entscheider hat, sind oft widersprüchlich, geradezu paradox. Es ist jedoch belegt, dass nachhaltig erfolgreiche Firmen souverän im Spannungsfeld von Paradoxien unterwegs sind. Leader, die sich zum Beispiel fragen, ob sie lieber kurzfristig oder langfristig planen, in Kunden oder Mitarbeiter investieren, altes Wissen ausschöpfen oder neues er­zeugen, auf Agilität oder Stabilität setzen sollen, müssen wissen, dass sie mittel- und langfristig jeweils beides brauchen.

Sie agieren dann zwischen erfolgskritischen Gegensätzen und ersetzen das Entweder-oder durch ein Sowohl-als-auch-Verhalten. So vermeiden sie Einseitigkeit, die erwiesenermassen schnell ins Verderben führt. Wer in sich widersprüchliche Optionen situativ angemessen, insgesamt jedoch ausgewogen verfolgt, erweitert sein Denk- und Verhaltensrepertoire um mindestens 100 Prozent (zwischen den «Polen» existieren weitere Nuancen und Dosierungsmöglichkeiten). Durch Ausbalancieren gegensätzlicher Optionen werden Unternehmen «beidhändig». Sie können damit auf Unvorhersehbares besser reagieren und Komplexität nicht nur besser bewältigen, sondern sogar nutzen. Wir haben in dem Zusammenhang den Begriff Balanced Governance eingeführt.

Beispiel eines Gegensatzpaares

Mit dem nachfolgenden Beispiel von «Exploration und Exploitation» soll dieser Ansatz erläutert werden. Bei diesem Gegensatzpaar geht es um den Umgang mit Wissen. Exploration erzeugt neues Wissen – durch suchen, lernen, experimentieren und verändern. Auf Exploration beruhen echte Innovationen. Durch das Hinterfragen gewohnter Annahmen und Prämissen mit Blick auf den Anwender können vollkommen neue Möglichkeiten erschlossen werden. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, sondern erfordert einen längeren Zeithorizont.

Durch Exploitation wird hingegen das vorhandene Wissen ausgeschöpft, um Dinge zu vereinfachen, zu verfeinern oder zu spezialisieren. Diese Art, mit Wissen umzugehen, ist kurzfristiger orientiert. Vorhandene Fähigkeiten, Technologien und Netzwerke werden genutzt, um Prozesse, Produkte oder Geschäftsmodelle von Grund auf zu erneuern. Bei Unternehmen wie zum Beispiel Kodak hat sich gezeigt, wohin es führt, wenn man allzu lange an Erfolgen der Vergangenheit festhält und lediglich vorhandenes Wissen nutzt, ohne gleichzeitig neues Wissen zu erzeugen.

Das Beschreiten bewährter Pfade bringt mitunter Effizienzvorteile. Es reicht vielen Firmen offenbar aus, wenn sie damit (kurzfristig) die Gewinnsituation verbessern. Man weiss jedoch heute, dass von einer guten Balance zwischen Exploration und Exploitation vor allem jene Firmen profitieren, die starkem Wettbewerbsdruck in dynamischen Märkten ausgesetzt sind. Für wen gilt das heute nicht mehr? Der ausgewogene Umgang mit Wissen ist nur ein Beispiel für beidhändiges Managen. Wie die Abbildung zeigt, existieren gegensätzliche Wertepaare auch bei weiteren, wichtigen Fragestellungen wie dem zeitlichen Horizont (kurzfristig versus langfristig), dem Systemfokus (Innensicht versus Aussensicht), dem Strategieprozess (Massnahmen durchplanen versus situativ entwickeln), wirtschaftlichen Effekten (profitabel versus wachstumsstark), bei Schlüsselgruppen (Kunden versus Beschäftigte) oder der inneren Dynamik (agil versus stabil). Balanced Governance basiert auf 13 Wertepaaren, die erfolgskritische Gegensätze darstellen. Ein Audit fördert allfällige Ungleichgewichte zutage und liefert erste Hinweise auf mögliche Geschäftsrisiken.

Eigenkomplexität reduzieren

Beidhändigkeit, die Fähigkeit zum Ausbalancieren erfolgskritischer Gegensätze, geht einher mit weiteren «Gewinner-Faktoren». Entscheider können sich heute auf ihre Bauchgefühle verlassen, dem Prinzip Versuch-und-Irrtum folgen oder sich durchwursteln. Nichts führt zwangsläufig zum schnellen Untergang. Aber nur robuste Naturen werden mit diesen «Techniken» weiterhin gut schlafen können.

Gewinner handeln strategisch und konsequent. Sie wissen, dass ihre Existenz von der Bevorzugung durch andere abhängt, und liefern dafür Gründe. Gestützt auf Schlüsselkompetenzen, formulieren sie Versprechen, die sie selbstverständlich halten. Dazu benötigen sie Finanzmittel ebenso wie Wissen, Kreativität und Kooperationsfähigkeit. Bestimmte Ak­tivitäten tragen ihre Schlüsselkompe­tenzen. Dieses Ressourcenpaket wird erhalten und entwickelt mithilfe von Indikatoren, die zeigen, ob man auf dem richtigen Weg ist beziehungsweise wie man diesen wiederfindet. Diese Anforderungen sind nicht neu. In turbulenten Zeiten entstehen jedoch mitunter Lücken, Unklarheiten und Inkon­sistenzen im normativen, strategischen sowie operativen Orientierungs- und Managementsystem. Wenn aber der Zweck, die Absicht und der Anspruch einer Firma (Warum und für wen sind wir da? Wohin wollen wir? Wofür stehen wir?) nicht definiert oder unklar sind, entstehen Orientierungsdefizite. Wenn dann noch Abteilungen, Bereiche sowie Hierar­chie­ebenen schlecht zusammenarbeiten, sind komplexe Herausforderungen kaum zu bewältigen.

Vermeidbares Nichtwissen, Mehrdeutigkeiten und Interaktionsbarrieren erhöhen den Anteil der Komplexität des eigenen Systems, der hausgemacht und schädlich ist. Dieser Anteil kostet Zeit, Geld und Nerven – Ressourcen also, mit denen man Aufgaben lösen könnte, an denen andere noch scheitern. Beidhändige Firmen erweitern also nicht nur ihre Horizonte und Handlungsspielräume, sondern reduzieren auch schädliche Eigenkomplexität so weit wie möglich.  

Vielfalt intelligent nutzen

Komplexität, die man als Varietät möglicher Systemzustände definiert, kann bekanntlich nur mit Varietät (also Vielfalt) «bekämpft» werden. Neben erfolgskritischen Gegensätzen ist die soziokulturelle Verschiedenartigkeit von Mitarbeitern eine wichtige Vielfaltsquelle. Wer seine Belegschaft nach dem Hans-sucht-Hänschen-Prinzip zusammenstellt, darf sich nicht wundern, wenn sein Unternehmen nicht besonders innovativ ist. Die demoskopische und soziopolitische Entwicklung führt dazu, dass unsere Belegschaften «bunter» werden. Hier entsteht ein interessantes Potenzial.

Komplexe Aufgaben lassen sich besser mit Menschen lösen, die unterschiedliche Fähigkeiten und Lernerfahrungen mitbringen. In einer bunteren Arbeitswelt sind Beschäftigte nach Alter, Geschlecht, Hautfarbe, kulturellem Hintergrund und körperlichen Möglichkeiten unterschiedlich ausgestattet. Gemeinsame Werte und Spielregeln sorgen dafür, dass die Arbeit gemischter Teams nicht im Chaos endet. Diversity-Management kann viel mehr sein als ein moralisch aufgeladenes nice to have.

Die Wichtigkeit geteilter Werte

Während Beidhändigkeit die Unternehmensstrategie ausgewogener (und auch damit erfolgreicher) macht, verbessern geteilte Werte die Zusammenarbeit, ohne die heute nichts mehr läuft. Wer nicht nur seinen Kunden, sondern auch seinen Fach- und Führungskräften bietet, was ihnen in der speziellen Arbeitsbeziehung wichtig ist, kann mit Motivation, Enga­gement, Loyalität und Produktivität auf beiden Seiten rechnen. Wertebalance-Analysen zeigen auf, inwieweit dieser Idealzustand schon erreicht ist beziehungsweise wie er erreicht werden kann. Das liefert wichtige Impulse zur Optimierung der Zusammenarbeit und damit auch zur positiven Entwicklung des gesamten Unternehmens.  

Möglicherweise sehen Unternehmen, deren Auftragsbücher gut gefüllt sind, für sich aktuell wenig Handlungsbedarf. Wer heute das Schicksal von Unternehmen verantwortet, blickt trotz der gegenwärtig erfreulichen Situation jedoch mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Diese ist nun mal ungewiss, solange sie nicht zur Gegenwart geworden ist. Deshalb sorgen verantwortungsbewusste Entscheider zunächst einmal für Nachhaltigkeit in ihrem eigenen System, in der eigenen Firma also. Nur auf diese Weise können sie auf Dauer auch die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft positiv beeinflussen. Mit Beidhändigkeit sind sie dabei auf einem guten Weg.

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