Die Anzahl Mitarbeitende, welche für zwei Vorgesetzte arbeiten müssen, nimmt zu. Geteilte Führungspositionen, Topsharing genannt, sind durchaus en vogue. Das ist keineswegs eine reine Modeerscheinung. Grosse – und damit schlagzeilenträchtige – Unternehmen haben immer wieder ihre Chefpositionen auf oberen und obersten Ebenen zu teilen versucht: SAP, Goldman Sachs oder UBS. Bei der UBS führen Iqbal Khan und Tom Naratil als Co-Head in einer Doppelspitze das Vermögensverwaltungsgeschäft, und Piero Novelli und Robert Karofsky sind zusammen dem Investmentbanking vorgestanden. Nicht zu vergessen, dass sich bei der Credit Suisse vor Jahren schon Oswald Grübel und John Mack kurz in der Co-Führung versuchen mussten oder besser: duelliert haben.
Die genannten Beispiele sagen allerdings auch exemplarisch etwas aus über die wechselhaften praktischen Erfahrungen mit Doppelspitzen und der bescheidenen Nachhaltigkeit von Co-Führungen: In der Zwischenzeit führt Robert Karofsky das Investmentbanking der UBS alleine, und Tom Naratil steht deutlich hinter Iqbal Khan zurück. Bei SAP war Jennifer Morgan als Co-CEO schon nach kurzer Zeit wieder Geschichte, Christian Klein führt die Geschäfte heute alleine. Und die Haltedauer der Doppelspitze Grübel/Mack: 18 Monate.
Topsharing in KMU
Mit Blick auf die heimischen KMU sind die Erfahrungen auf oberster Führungsebene differenzierter. Hier sehen wir, dass geteilte Führungen durchaus Tradition haben und erfolgreich sein können. Gerade in Familienunternehmen. Auch, weil Blut dicker als Wasser ist. Und weil die familiär verbandelte Geschäftsleitung über die Aktienmehrheit zugleich auch die absolute Macht im Unternehmen hat. So gehen Hierarchie und Eigentum Hand in Hand. Und die Chefs haben nur ein übergeordnetes Ziel: nämlich ein erfolgreiches Unternehmen. Machtgerangel und Egozentrik haben dann zweite Priorität.
Mit den disruptiven Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft nimmt das Bedürfnis nach Doppelbesetzungen von Führungsfunktionen auch auf tieferen Hierarchiestufen zu. Dies ist zum einen einer geförderten Partizipation und damit einer Verbreiterung der Verantwortungsstruktur geschuldet. Zum andern dem Versuch, über Co-Leitungen auch Teilzeitmitarbeitenden Führungsperspektiven zu ermöglichen.
Begründete Skepsis
Die aktuelle Nachfrage und das Interesse an Co-Führungen ist den Auseinandersetzungen mit New Work, Agilität und Diversity zuzuschreiben. Doch New Work, Agilität und Diversity verlangen den Mut, etwas wirklich Neues zu versuchen. Keine halbherzigen Konzepte, sondern wegweisende, durchdachte Lösungen, die konsequent verfolgt werden.
Doppelspitzen, und das beweist das oftmals eigentlich fehlende Commitment, fallieren dann aber bereits nach ersten Schwierigkeiten und werden heilfroh ad acta gelegt. Wirkliche Überzeugung sieht anders aus und würde Unternehmen länger an einem Modell festhalten lassen.
Um es vorwegzunehmen: Der Autor steht Co-Führungen äusserst skeptisch gegenüber. Denn Co-Führungen sind geteilte Verantwortung. Wenn aber jemand Verantwortung lieber teilt, als sie alleine zu tragen, dann ist er für die Führung wenig geeignet. Und er sollte dann auch so ehrlich sein und auf eine Führungsposition verzichten.
Meist werden Co-Führungen aber nicht selber gewählt, sondern aufgezwungen: Um die Schwächen des einen mit den Stärken des andern zu kaschieren, um das Risiko von Fehlentscheiden zu begrenzen und einen Einzelnen nicht zu mächtig werden zu lassen. Oder aus Goodwill gegenüber einem vorherigen, ungenügenden Stelleninhaber. Dies lässt grundsätzliche Zweifel an der Unternehmenskultur aufkommen.
Zudem wird bei Co-Führungen unterschätzt, wie schwierig es ist, zwei Leute zu finden, deren Chemie so gut zusammenpasst, dass sie im täglichen Arbeiten keinerlei individuelle politische Agenda haben. Dazu müssen sie sich vertrauen und sich über den Erfolg des anderen gleich freuen wie über den eigenen. Das ist zwar ein hehres Ziel, aber dann halt doch sehr illusorisch.
Vermeintliche Vorteile
Zwar lassen sich die Vorteile einer Führung im Duo herbeireden: mehr Engagement und Produktivität in einem kleineren Gesamtpensum, mehr Kreativität, mehr Diversität, mehr Lösungsfindungen, mehr Flexibilität, mehr Perspektiven. Die Realität ist aber vielfach: zu viel Einsatz im Verhältnis zur mediokren Gesamtwirkung, zu viele Reibungspunkte und Ineffizienzen an den Schnittstellen, verunsicherte Mitarbeitende aufgrund von unterschiedlichen Führungsvorstellungen und unterschiedlichen Tempi, Verkomplizierung der Prozesse, hemmende Rücksicht.
Ein wiederkehrendes Argument für eine Co-Führerschaft ist die wohlwollende Frauenförderung, weil Topsharing die Vereinbarkeit von Job und Familie erleichtern soll. Doch gerade die Doppelbesetzung von Führungsfunktionen als frauenfördernde Massnahme zeigt in vielen Fällen, dass «gut gemeint» nicht das Gleiche ist wie «gut gemacht».
Wirkungsvolle Lösung
Denn wenn ein Unternehmen Führung in Teilzeitpensen und damit Frauen in Führungspositionen – auch nach einem Mutterschaftsurlaub – ermöglichen will, dann ist ein Modell mit einer klaren und kompetenten Stellvertretung, beispielsweise einem hervorragenden Stabschef, zu wählen. Haben Führungskräfte in Teilpensen institutionalisierte Stellvertreterlösungen, wird die Verantwortungsfrage also klar beantwortet und wird diese Verantwortung tatsächlich auch in einem Teilpensum problemlos möglich. Weil Teilzeitarbeit dadurch sehr viel stressfreier, Schnittstellen deutlich vereinfacht und das Führen von Mitarbeitenden lustvoller werden.
Denn Mitarbeitende wollen von einem und nicht von zwei Menschen geführt werden. Diesem einen Menschen wollen sie vertrauen können und sich ihm in schwierigen, manchmal auch privaten Situationen öffnen. Das wird im Falle von zwei Chefs verunmöglicht. Darüber hinaus bringen zwei Vorgesetzte unterschiedliche Ansichten zu wichtigen Themen mit sich, eine unterschiedliche Kommunikation, einen unterschiedlichen Führungsstil: Doch Mitarbeitende brauchen Klarheit und Berechenbarkeit. Und auch die Partizipationsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden bei wegweisenden Entscheiden werden geringer: Zwei Chefs können ein Sparring untereinander austragen, der ehrliche Miteinbezug der Mitarbeitenden bleibt dann eher auf der Strecke.