Stolperstein 10: Loslassen
Die vermutlich grösste Hürde eines abtretenden Unternehmers liegt bei ihm selber. «Loslassen können» heisst das Schlagwort. Je schneller es gelingt, das Unternehmen vertrauensvoll in neue Hände zu übergeben, desto rascher wird die neue Führung erfolgreich! Eine weitere Mitarbeit des Übergebers sollte sich auf klar definierte, abgegrenzte Tätigkeiten beschränken. Zu viel Dreinreden führt zu Konflikten und kann den erfolgreichen Fortbestand behindern.
Ratschläge in diese Richtung reichen nicht aus. Beim «Nicht-loslassen-Können» handelt es sich um ein tief liegendes, unbewusstes psychologisches Phänomen. Es wird von vielen unterschätzt und verdrängt. Etwas plötzlich aus den Händen geben, was man jahrelang mit grossem Einsatz aufgebaut und gepflegt hat, fällt niemandem leicht.
Situationen, in welchen ein Übergeber dem Übernehmer seine Dienste anbietet und dieser aus Freundlichkeit annimmt, empfehlen wir nicht. So können Situationen entstehen, wie sie im Erfahrungsbericht 4 dargestellt sind. Ähnliche Geschichten treffen wir häufig an. Besser ist, wenn der abtretende Unternehmer seine Zukunftspläne schriftlich formuliert und ein detaillierter Austrittsplan festgelegt wird. Er braucht neue Herausforderungen, welche ihn emotional ansprechen; etwas, was er mit Leidenschaft verfolgen kann.
Erfahrungsbericht 7: Ein 69-jähriger Unternehmer bat uns, ihn bei der Suche einer geeigneten Nachfolge zu begleiten. Er wollte anlässlich seines 70. Geburtstags genau wissen, wie es weitergehen würde, und dann möglichst bald austreten. «Hilf mir, hier rauszukommen!», waren seine Worte. Gespräche mit ihm und seiner Frau zeigten, wie stark er mit seinem Unternehmen verbunden und dieses zu seinem Lebensinhalt geworden war. Seine Frau mochte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er plötzlich keine Aufgabe mehr haben und den ganzen Tag zu Hause sitzen würde. Wir besprachen mit ihm verschiedene Varianten für eine Nachfolge und versuchten, mit ihm eine schriftliche, persönliche Zukunftsplanung zu machen. Da er nicht bereit war, Realitäten zu sehen und zu akzeptieren, brachen wir das Mandat ab. Heute ist er 73 und noch nicht viel weiter.
Erfahrungsbericht 8: Unsere Begleitung eines abtretenden Unternehmers verlief recht erfolgreich und mühelos. Zwei Mitarbeiter konnten gefunden werden, welche bereit waren, die Firma zu übernehmen. Ihre Eignung als Unternehmer wurde abgeklärt. Gezielte Weiterbildungen wurden mit ihnen gestartet, notwendige Details besprochen und ein Vorvertag abgeschlossen. Als das Übergabedatum herannahte, entschloss der Übergeber den Nachfolgeprozess abzubrechen und aus dem Vorvertrag auszusteigen. Er habe realisiert, dass es noch zu früh sei für ihn, um aufzuhören. Sein Schaden: mehrere zehntausend Franken Aufwand und der Verlust seiner zwei besten Mitarbeiter.
Stolperstein 11: Familiensystem
Die wohl schwersten emotionalen Belastungen lauern in Familiensystemen. Die Themen können recht komplex sein und Ansprüche aus zwei oder drei Generationen umfassen. Familienbande wirken oft stärker als Vernunft und nackte Tatsachen. Bei einer Nachfolgebegleitung muss der Fokus speziell auf die Rollen und auf die Meinungen der Familienmitglieder ausgerichtet werden. Insbesondere dürfen die Lebenspartner der Übergeber und Übernehmer nicht vergessen werden.
Erfahrungsbericht 9:Anlässlich einer Bewertung der verschiedenen Nachfolgeoptionen nannte ein Unternehmer bei der Variante «Nachfolge durch den Sohn» als Risiko «fährt Firma an die Wand». Durch unsere Rückfrage zur Eintretenswahrscheinlichkeit dieses Risikos gestand er, dass dem Sohn unternehmerische Kompetenzen fehlen würden und er ihm eigentlich nicht zutraue, die Aufgabe einer erfolgreichen Nachfolge meistern zu können. Sein Herzenswunsch, das Unternehmen im Familienbesitz zu behalten und seinen Sohn zum Unternehmer zu machen, sei jedoch so stark, dass er riskieren wolle, sein Lebenswerk den Bach hinunterschwimmen zu sehen.
Erfahrungsbericht 10: Die Gebrüder I und J leiteten und besassen zusammen ein Unternehmen. Die Söhne von I arbeiteten seit einiger Zeit mit. Sie entwickelten sich zu guten Fachleuten. L, der Sohn von J, arbeitete als Betriebswirtschafter in einer anderen Firma in einer anderen Branche. Bei Nachfolgediskussionen wurde rasch erkannt, dass L eine sinnvolle Ergänzung zu den Söhnen von I sein könnte. I und J waren im Prinzip einverstanden, das Unternehmern an die jüngere Generation zu übergeben. J stellte jedoch die Bedingung, dass die Hälfte der Aktien in seiner Familie bleiben müsste. Das hätte bedeutet, dass L die Hälfte und die Söhne von I je einen Viertel der Aktien erhalten hätten. L war damit nicht einverstanden. Er mache nur mit, wenn er und die zwei Cousins nach der Übernahme gleichwertige Partner sein würden. Zahlreiche Gespräche mit externer Unterstützung waren notwendig, bis J nach Langem über seinen eigenen Schatten sprang und die Lösung mit den drei gleichberechtigten Partnern umgesetzt werden konnte.
Stolperstein 12: Fehlendes Prozess-Management
Die Komplexität von Nachfolgeprozessen wird oft unterschätzt. In Wirklichkeit handelt es sich um komplexe, multidisziplinäre Change-Projekte. Nach einer Situationsanalyse lassen sich die zu bearbeitenden Themen neben dem eigentlichen Nachfolgeprozess in der Regel in drei zusätzliche Prozesse gliedern. Dazu braucht es keinen Riesenaufwand. Wichtig ist lediglich, die Themen zu kennen, zu dokumentieren, zu adressieren und
zu terminieren. Ein abtretender Unternehmer muss während der ganzen Dauer des Ablöseprozesses zukunftsorientiert mitwirken und darf nicht als rückwärtsgewandter Bremsklotz agieren.
- Der betriebswirtschaftliche Prozess: Dieser besteht normalerweise automatisch in irgendeiner Form. Vergessen wird jedoch oft, dass dieser Prozess durch den Austritt des Übergebers nicht abrupt unkoordiniert geändert wird. Zu wenig Diskussion und Planung kann grossen Schaden verursachen. Hier geht es darum, das kurzfristige Geschäft zu steuern und zu optimieren. Einerseits muss das Bewährte weitergeführt und genügend Umsatz und Gewinn erwirtschaftet werden. Andrerseits geht es darum, die Kunden und die Mitarbeitenden zu behalten. Sowohl Kunden wie Mitarbeitende sind häufig direkt an den abtretenden Patron gebunden. Der Nachfolger muss das notwendige Vertrauen zuerst verdienen. In der Übergabephase sollten die Zuständigkeiten des Übergebers und des Übernehmers schriftlich festgehalten, zeitlich definiert und kommuniziert werden. Gerade bei familieninternen Nachfolgen ist dies eminent wichtig.
- Der Change-Prozess: Wie jede grössere Veränderung lösen Nachfolgeprozesse Ängste aus, die sich meistens in auftretenden Widerständen äussern. Besonders ausgeprägt sind Widerstände bei Kaderleuten zu beobachten. Der Umgang mit Widerstand gehört zu den Kernthemen eines Change-Managements. Durch eine rechtzeitige Identifikation von Konfliktherden und eine entsprechende Kommunikation lässt sich ein grösserer Schaden vermeiden. Eine externe Moderation ist hilfreich. Hier geht es also darum, die Mitarbeitenden mittels einer guten Kommunikation zu begleiten und situativ gemeinsam eine neue Firmen- und Führungskultur zu entwickeln. Idealerweise startet dieser Prozess schon, bevor der Nachfolger beginnt.
- Der Firmen-Transformationsprozess: Das Unternehmen wird nach einer Übernahme in fünf Jahren dem heutigen kaum mehr ähnlich sein. Besonders zwei Themen nehmen beim Nachfolger einen grossen Teil seiner Arbeit ein. Er muss sich intensiv mit der Zukunftsstrategie und den für deren Umsetzung notwendigen Innovationen beschäftigen. Zentrale Fragen sind: «Was braucht und will der Kunde? Welchen Mehrwert können wir dem Kunden bieten?» Daraus wird die zukünftige Ausrichtung abgeleitet.
Fazit
Der Glaube, dass Unternehmer trotz ihrer breiten Erfahrung ihre Nachfolge selber regeln können, ist trügerisch. Die emotionale Befangenheit behindert eine objektive Denkweise und Lösungsfindung. Eine ganzheitliche Situationsanalyse, welche mögliche Stolpersteine aufdeckt, sowie eine anschliessende Planung der notwendigen Aktivitäten erleichtern eine optimale Stabsübergabe.