Immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, sich durch agile Teamarbeit den ständig verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Hierarchien müssen abgebaut und Entscheidungswege verkürzt werden, damit Teammitglieder eigenständige Entscheidungen treffen können. Die Position des Teamleiters fällt oft weg, die Teammitglieder sollen autark agieren, ohne dass die nächsthöhere Instanz von aussen hereinredet.
Die triale Herausforderung
Allerdings: Bei aller Notwendigkeit zur Agilität darf nicht vergessen werden, dass nicht alle Mitarbeiter und Teams bereit sind, agile Strukturen aufzubauen. Agilität darf nicht zum Selbstzweck erklärt werden, die Entscheider in den Unternehmen sollten sie den Unternehmensstrukturen und dem Habitus des jeweiligen Teams anpassen. Der Grund: In vielen Unternehmen stehen Führungskräfte vor der «trialen Herausforderung». Was heisst das?
John Kotter hat das Modell des «dualen Betriebssystems» entwickelt. Demnach tritt neben das traditionelle Betriebssystem ein innovatives zweites Betriebssystem, das sich durch seine agilen Strukturen auszeichnet. In ihm entwickeln sich Strategien und Veränderungen mit hoher Dynamik, und zwar flexibel, schnell und innovativ, während das Kerngeschäft im ersten Betriebssystem stabil weiterläuft. In vielen Unternehmen existieren beide Systeme.
Das Management sollte darum einerseits das Bestehende stabilisieren und optimieren, andererseits offen sein für Innovationen. Die Führungskräfte haben dabei die Aufgabe, einen Spagat zu schaffen – und zwar zwischen den Aktivitäten, die die bewährten Prozesse (im ersten Betriebssystem) voranbringen und mit denen das operative Tages- und Kerngeschäft gestemmt werden kann, und den Massnahmen, mit denen sie (im zweiten Betriebssystem) die Mitarbeiter dazu bewegen, zur Veränderung fähig zu sein, mithin agil zu agieren. Doch damit nicht genug. Jetzt kommen wir zur «trialen Herausforderung», bei der die Führungskraft gleich mehrere Teams führt, deren Agilitätsfaktor höchst unterschiedlich ausgeprägt ist und die sich auf sehr unterschiedlichen agilen Entwicklungsniveaus befinden.
Das klassisch-traditionelle Team führen
Eine Führungskraft leitet morgens das klassisch-traditionelle Team mit Vorgaben und Vereinbarungen an, damit das operative Tagesgeschäft bewältigt werden kann und Umsatz und Gewinn stimmen. In der hierarchischen Top-Down-Führung kommt es darauf an, einen klaren Auftrag umzusetzen und dabei die Synergieeffekte zu nutzen, die sich durch die Zusammenarbeit mehrerer Menschen ergibt. Die Führungskraft arbeitet vorwiegend mit Weisung und Kontrolle, sie lässt den Teammitgliedern zudem gewisse Freiräume. Auch in klassisch-traditionellen Teams partizipieren die Mitglieder an Entscheidungen, sie haben ein Mitspracherecht – aber dies geschieht auf einem bescheidenen Niveau.
Agile Teamarbeit einführen – im Rahmen eines Pilot-Projekts
Danach betreut die Führungskraft ein Team, das gerade dabei ist, sich mit den agilen Arbeitsweisen vertraut zu machen. Dieses Team befindet sich in einer Übergangsphase, in der die Mitglieder agile Methoden und Tools wie Design Thinking, Scrum, Kanban, Lean Management und das Daily Meeting kennenlernen. Bei der Einführung agiler Teamarbeit ist es von Vorteil, wenn den Mitarbeitern nichts übergestülpt oder gar aufgezwungen wird. Unternehmen und Führungskräfte stehen in der Verantwortung, den menschlichen Faktor zu berücksichtigen, also die agile Teamarbeit so einzuführen, dass die beteiligten Mitarbeiter mitgenommen werden können. Sie sollten intensiv auf das agile Arbeiten vorbereitet werden – von den Mitarbeitern darf nicht erwartet werden, sich erfolgreich in agilen Strukturen bewegen zu können, wenn sie dies zuvor nicht trainieren konnten.
Unternehmen, die ihren Mitarbeitern, aber auch den Führungskräften Gelegenheit geben möchten, sich sukzessive mit agilen Arbeitsweisen anzufreunden, tun dies häufig mithilfe eines Pilot-Projekts. Die Vorgehensweise: Ein Team arbeitet innerhalb der Organisation unter agilen Bedingungen, mit eigenem Budget und in eigener Verantwortung, also ohne hierarchische Abhängigkeiten. Die beteiligten Schnittstellen im Unternehmen wissen Bescheid und akzeptieren und berücksichtigen, dass das agile Team eigenständig agieren soll.
Das hochgradig agile Team mit Persönlichkeit und Integrität begleiten
Kommen wir zum dritten Teil der trialen Herausforderung: Am Nachmittag arbeitet die Führungskraft mit einem hochgradig agilen Team zusammen, das ohne Hierarchien, autark, eigenständig und selbstverantwortlich handelt. Hier verbietet sich jede Einmischung von aussen, nur so ist ein eigenständiges Agieren möglich. Der Ansatz «Führung ohne Führungskraft» ist umgesetzt, die Mitglieder bestimmen, wer aufgenommen wird, das Team verfügt über ein Budget, es entscheidet über Gewinnausschüttungen, Boni und bei disziplinarischen Fragen.
Das Mitspracherecht «von aussen» ist aufgehoben. Nur in Notfällen wird eingegriffen, etwa wenn es bei einer wichtigen Entscheidung zu keiner Einigung kommt. Die Führungskraft hat nur die Möglichkeit, mithilfe ihrer Persönlichkeit und Integrität und überzeugender Argumente Einfluss zu nehmen.