Finanzen & Vorsorge

Perspektiven und Ausblick

Wie die Wirtschaftswelt nach Corona aussieht

Die Coronakrise und ihre Folgen – ein grosses Thema. Und schon im Titel steckt die erste Schwierigkeit. Wann ist denn «nach Corona»? Jetzt, wo die schärfsten Lockdown-Massnahmen zwar aufgehoben sind, die Fallzahlen aber wieder steigen? Müssten wir nicht vielmehr von einer Welt «mit Corona» sprechen?
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Wir leben in einer Welt «mit Corona», die Zukunft «nach Corona» hat aber bereits begonnen. Welche langfristigen Folgen wird dies auf das Wirtschaftswachstum, die Globalisierung, die Inflation und die Zinsen haben? Der Versuch einer Annährung.

Corona und das BIP

Die Frage nach den Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung (BIP) umfasst zwei Ebenen. Wie lange dauert es, bis das BIP-Niveau von vor der Krise wieder erreicht ist? Und: Schlägt sich die Coronakrise im langfristigen Wachstumspfad nieder? Es scheint realistisch, dass auf globaler Ebene bis Ende 2021 die Wirtschaftsleistung von 2019 wieder erreicht wird, bei allerdings grossen regionalen Unterschieden. Während die dynamisch wachsenden Volkswirtschaften Asiens den Einbruch bereits in diesem und im nächsten Jahr wettmachen werden, wird dies etwa in den USA und in Europa bis mindestens 2022 dauern. Ob danach der Wachstumspfad höher oder tiefer sein wird als vor der Krise, hängt von mehreren Faktoren ab. Die Beschäftigungsquote dürfte zunächst auf tieferem Niveau verharren, da einige Leute sich vorübergehend oder definitiv vom Arbeitsmarkt zurückziehen werden und die Unternehmen mit Anstellungen zurückhaltend sein werden.

Anders als Kriege oder Naturkatastrophen zerstört die Coronakrise den Kapitalstock nicht. Es gibt also keinen Wiederaufbau-Investitionsboom. Die Investitionstätigkeit dürfte aufgrund der unsicheren Entwicklung vorerst schwächer ausfallen. Ähnliches gilt für das Konsum- und Sparverhalten, das sich erst nach einer gewissen Zurückhaltung normalisieren wird.

Fazit: Das Wachstum könnte zunächst etwas tiefer ausfallen. Langfristig wird sich die Coronakrise zumindest nicht negativ auf das Wachstumspotenzial auswirken. Der technologische Wandel – etwa im Bereich der Digitalisierung ein Kataly­sator für mehr Investitionen – könnte es teilweise sogar erhöhen.

Kommt die De-Globalisierung?

Die internationale Arbeitsteilung war einer der stärksten Treiber des Wohlstands der letzten 200 Jahre. Das Modell der komparativen Vorteile – jedes Land produziert diejenigen Güter, die es im Vergleich zu anderen Ländern günstiger herstellen kann – ist eines der anerkanntesten Prinzipien in der Ökonomie. Das führt aber auch zu Abhängigkeiten. Werden Wertschöpfungsketten unterbrochen, wie im Lockdown geschehen, kann dies zu erheblichen Produktionsausfällen führen.

Die jüngsten Erfahrungen könnten deshalb zu Anpassungen in den Prozessen der Unternehmen führen. Vorleistungen werden nicht mehr bei dem einen, billigsten Anbieter bezogen, sondern der Einkauf wird auf mehrere (günstige und nahe) Lieferanten aufgeteilt. Es könnte zu vermehrter Lagerhaltung kommen, sodass die Produktion auch bei Unterbrechung der Lieferketten eine gewisse Zeit aufrechterhalten werden kann. Letztlich wird sich auch in der Wirtschaft das Mobilitätsverhalten verändern. Geschäftliche Treffen, intern oder mit Kunden, werden vermehrt in digitaler Form abgehalten, physische Treffen werden abnehmen.

Dabei geht es nicht um «schwarz» (zum Beispiel gar keine Geschäftsreisen mehr) oder «weiss» (Geschäftsreisen wie bisher). Aber die globalen Handelsströme werden sich verändern und es wird bis zu einem gewissen Grad zu einer De-Globalisierung kommen. Sie wird allerdings kaum für längere Zeit substanziell ausfallen. Der globale Wettbewerb wird nicht ausser Kraft gesetzt. Langfristig wird die Effizienz bei der Erstellung und im Vertrieb von Gütern wieder verstärkt in den Vordergrund rücken (günstig[st]e Vorprodukte, optimierte Lagerhaltung, u. ä.) und dem De-Globalisierungstrend die Spitze brechen.

Keine grosse Inflation

Rezessionen werden meist begleitet von sinkender Inflation. Die Ausgangslage ist diesmal dennoch etwas anders, da die Inflation bereits vor der Krise tief war und die Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken sich schon auf einem äusserst expansiven Pfad befand. Bildet die zusätzliche Liquiditätsschwemme den Nährboden für einen deutlichen Anstieg der Inflation?

In der Coronakrise sind Angebot und Nachfrage eingebrochen. Es besteht somit ein Kapazitätsüberhang, der eine erhöhte Nachfrage gut absorbieren kann. Selbst wenn es in einzelnen Bereichen zu Produktions- und Lieferengpässen kommen kann, wird das nicht für einen spürbaren Anstieg des Preisniveaus sorgen. Die beschriebene (leichte) Form von De-Globalisierung erhöht zwar die Kosten. Ob sich das aber auch in höheren Preisen niederschlägt, ist fraglich. Das würde Preissetzungsmacht voraussetzen, über die viele Anbieter nicht verfügen.

In diesen unsicheren Zeiten werden sich die Unternehmen vielmehr mit Preiserhöhung zurückhalten. Niemand will sich aus dem Markt preisen. Eine ähnliche Zurückhaltung ist bei den Löhnen zu er­warten, da die Arbeitslosigkeit zunächst noch steigen beziehungsweise in den USA hoch bleiben wird. Schliesslich verstärkt die Coronakrise in gewissen Be­reichen auch produktivitätssteigernde Entwicklungen, was Preiserhöhungen weniger wahrscheinlich macht.

Fazit: Vorerst ist kein Teuerungsschub zu erwarten. Im Gegenteil spricht einiges für eine anhaltend tiefe Inflation. Die Saat für einen Anstieg der Inflation ist angesichts der ultra-expansiven Geld- und Fiskal­politik allerdings gesät. Kommen einige Faktoren zusammen (starkes Wachstum, angespannter Arbeitsmarkt und zum Beispiel steigende Rohstoffpreise), kann sich dies in einem substanziellen Preisanstieg entladen. Dieses Szenario scheint derzeit aber noch einige Jahre entfernt.

Zinsen bleiben tief

Die Notenbanken haben mit einer beispiellosen Ausweitung ihrer bereits expansiven Geldpolitik auf die Krise reagiert. Dabei erweiterten sie ihr geldpolitisches Arsenal um neuartige – teils kontroverse – Hilfsprogramme. Der Weg zu neuen geldpolitischen Ansätzen wie der Modern Monetary Theory (MMT), Helikoptergeld oder der in Japan und Australien bereits eingesetzten Zinskurvenkontrolle ist nicht mehr weit. Leitzinserhöhungen sind noch lange keine in Sicht. «Wir denken noch nicht einmal daran, über Zinserhöhungen nachzu­denken», meinte US-Notenbank-Chef Powell kürzlich. Die kurzfristigen Zinsen bleiben für längere Zeit auf den heutigen, sehr tiefen Niveaus verankert.

Mit den massiven Wertpapierkäufen halten die Notenbanken auch die Langfristzinsen in einer Art «Lockdown». Die Kombination aus erhöhter Kapitalnachfrage und anziehender Inflation würde steigende Renditen begünstigen. Angesichts der enorm gewachsenen Verschuldung wird man sich jedoch stark steigende Zinsen weder leisten können noch wollen. Die Währungshüter werden es nicht zulassen und die Anleihenkäufe fortsetzen, um die Langfristzinsen selbst bei anziehender Konjunktur und Teuerung zu deckeln.

Etwas anders gelagert ist die Sache in der Schweiz. Auch hierzulande steigt die Verschuldung und somit der Finanzierungsbedarf. Nur gibt es in der Schweiz keine Notenbank, die eigene Staatsanleihen aufkauft, zumindest noch nicht. Das heisst der Aufwärtsdruck auf die Zinsen – wenn er doch kommen sollte – könnte hierzulande etwas grösser sein als in der Eurozone, wo die EZB mächtig einkauft.

Fazit: Deutlich und nachhaltig ansteigende Zinsen scheinen auf Sicht von zwei, drei Jahren unwahrscheinlich (langfristige Zinsen) bis ausgeschlossen (Leitzinsen). Allerdings ist auch kein weiteres Absinken zu erwarten. Als Erbe hinterlässt die Coronakrise vor allem noch stärker administrierte Zinsmärkte.

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