Flexibilität und Agilität
Eine Vuca-Umwelt erfordert ein flexibleres Vorgehen und ein schnelleres Agieren. In der Digital Economy müssen Führungskräfte häufig mit mehreren Optionen «jonglieren». Ein pragmatisches Ausprobieren ist oft erfolgreicher als detaillierte Analyse und Planung. Es gilt, eine grundsätzliche Richtung vorzugeben, in Szenarien zu denken, sich mehrere Optionen offenzuhalten und mit Lösungsansätzen zu experimentieren. Projekte zu starten und bei Nicht-Erfolg rasch etwas anderes zu beginnen.
Um Agilität und Flexibilität im Unternehmen steigern zu können, ist generell ein vermehrter Fokus der Führungskräfte auf die Förderung von Beziehungen wichtig. Gerade vor dem Hintergrund der mit der Digitalisierung einhergehenden Vuca-Umweltbedingungen sind zwischenmenschliche Beziehungen für die Organisation von Arbeit unbedingt notwendig. Arbeit kann, wie eingangs beschrieben, in modernen Arbeitskontexten nicht mehr streng auf vorab festgelegten Regeln basieren – sie muss so organisiert werden, dass Organisationen schnell auf Veränderungen in der Umwelt eingehen können. Gute Beziehungen ermöglichen kurzfristige gegenseitige Unterstützung, das schnelle Auffinden der besten Ressourcen und zentraler Kompetenzträger für eine rasche Bildung spezialisierter Taskforces.
Zur Förderung entsprechender Netzwerke zeichnet sich auch in der Schweiz allmählich ein Trend ab hinsichtlich der Bildung sogenannter Innovationszentren, welche Räume und Infrastrukturen für innovative Start-ups und KMU bereitstellen. Dadurch wird eine Begegnungszone geschaffen, in welcher sich kreativ denkende Köpfe und Führungspersonen austauschen und über Unternehmensgrenzen hinweg vernetzen und kooperieren können.
Wie das Beispiel des Bündnisses der Konkurrenten Microsoft und SAP zeigt, sind entsprechende Kooperations-Möglichkeiten nicht nur über Unternehmensgrenzen hinweg, sondern auch innerhalb des Konkurrenzkreises erfolgversprechend. In enger Zusammenarbeit mit SAP entwickelt Microsoft beispielsweise einen integrierten, durchgängigen Prozess für die Bereiche Produktentwicklung, Vertrieb, Marketing und Support. Im Rahmen dieser Bemühungen richten Microsoft und SAP auch ihr gemeinsames Partner-Ökosystem aus, um einen nahtlosen Kundenservice zu gewährleisten. Eric Stine, SAP-Chefstratege für digitale Transformation, bezeichnete den Beziehungsstatus zwischen SAP und Microsoft augenzwinkernd als «frenemies with benefits» und betont die strategische Wichtigkeit dieser Allianz.
Offenheit für Veränderung
Von einem «Digital Leader» wird zudem erwartet, dass er offen kommuniziert, offenes Feedback gibt und selbst offen ist gegenüber Veränderungen. Beispiele aus der Praxis des Berateralltages zeigen, dass die fehlende Offenheit für Veränderungen und das daraus resultierende zögerliche Vorwärtsgehen in der Beschreitung neuer Wege auf Geschäftsleitungsebene nach wie vor oft der entscheidende hemmende Faktor darstellt für eine positive Unternehmensentwicklung.
Die Geschäftsführer von kleinen KMU, die selbst intensiv im Tagesgeschäft involviert sind und keine Unterstützung von Stabsstellen oder Ähnlichem haben, sind besonders gefordert. Nebst der grundsätzlichen Herausforderung, die darin besteht, das Wachstum im Griff zu haben und zu finanzieren, kommen die aktuellen Transformations-Themen hinzu. Die Geschäftsleitung ist gezwungen, organisatorische und strukturelle Veränderungen vorzunehmen, neue technologische Entwicklungen zu berücksichtigen und Verantwortung sowie Kompetenzen abzugeben.
Auf der Organisationsebene liegt der Schlüssel zum Erfolg hier oft in der Ausgestaltung einer organisationalen Ambidextrie (Beidhändigkeit). Diese beidhändige Organisationsform beschreibt die organisatorische Fähigkeit, im bewährten Geschäft weiterhin innerhalb probater Organisationsstrukturen effizient zu agieren, aber gleichzeitig dank neu geschaffenen agilen Strukturen anpassungsfähig hinsichtlich Umweltveränderungen zu sein.
Die zweite evidente Schlüsselkompetenz innerhalb der gebündelten Kompetenz «Offenheit für Veränderung» stellt Vision und Innovation dar. Wie eingangs erläutert, steigt der Innovationsdruck im digitalen Zeitalter exponentiell. Diesem Druck kann nur standgehalten werden, wenn an der Spitze Vordenker agieren, die die Wandlungsfähigkeit der Organisation mit ihrer Vision und Strategie zielgerichtet vorantreiben. Idealerweise wird der Wechsel von einem rein reaktiven
in einen aktiven Modus gewagt, um dadurch einen zukünftigen eigenen disruptiven Durchbruch in der Branche in Angriff nehmen zu können.
Ein Beispiel aus der Sportwelt unterstreicht den Erfolgsfaktor der Innovation exemplarisch: Die Neuseeländer gingen als überlegener Sieger aus dem 35. America’s Cup hervor, indem sie von Anfang an ganz anders an die Herausforderungen heran gingen als die anderen Teams. Anstatt wie üblich kräftige Segler für die Druckgewinnung der High-Tech-Boote einzusetzen, setzten die Kiwis leichte Velofahrer ein, die den traditionellen amerikanischen Grindern überlegen waren und mit ihrer Bein-Muskelkraft zu 30 Prozent mehr hydraulischen Druck erzeugten.
Neben den oben diskutierten Punkten und der in Abbildung 2 dargestellten Kompetenzen gilt es, auch den Basisaspekt des Vertrauens zu betonen. Wenn Führung vernetzter, offener und agiler werden soll, dann setzt dies grundsätzlich voraus, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vertrauen. Nur so können entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die Entwicklung individueller Problemlösungskompetenzen und die Übernahme entsprechender Selbstverantwortung beim einzelnen Mitarbeitenden begünstigen. Die Fähigkeit, in die im Umfeld liegenden Kompetenzen vertrauen zu können, kann dem beschriebenen Kompetenzmodell dementsprechend zugrunde gelegt werden.