«Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft» – so lautet der Titel einer Studie, die das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) erstellt hat. Für sie wurden 482 Führungskräfte in der DACH-Region online und 51 in vertiefenden narrativen Interviews persönlich befragt.
Laterale Führung im Trend
Die Studie zeigt: In den Unternehmen gewinnt ausser dem Führen auf Distanz beziehungsweise virtuellen Führen das Thema laterale Führung, also Führung ohne Weisungsbefugnis, stark an Bedeutung. So gehen zum Beispiel 90 Prozent der befragten Führungskräfte davon aus, dass ihr Team auch mittel- und langfristig einen hybriden oder sogar rein virtuellen Charakter haben wird; zudem sind 80 Prozent überzeugt, das Thema laterale Führung gewinne an Bedeutung.
Als Ursache hierfür erachten die Führungskräfte unter anderem, dass die Kernleistungen der Unternehmen zunehmend in bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden. Dadurch steigt ausser der Bedeutung der Online-Kommunikation und -Kooperation auch ihre Abhängigkeit bei der Zielerreichung von anderen Personen als den eigenen Mitarbeitern. Bereits heute geben jeweils mehr als 40 Prozent der Führungskräfte an, dass sie hierbei stark von den Mitarbeitern anderer Bereiche beziehungsweise externen Unterstützern wie Zulieferern abhängig sind.
Beziehungsmanager gefragt
Gegenüber diesen Partnern haben die Führungskräfte keine Weisungsbefugnis. Deshalb stehen sie zunehmend vor der Herausforderung, auch Personen zu motivieren und zu inspirieren beziehungsweise zu «führen», deren Vorgesetzte sie nicht sind. Entsprechend stark gewinnen aus ihrer Sicht die Führungsrollen «Influencer/Beziehungsmanager» (76 Prozent) und «Leader/Sinnstifter» (80 Prozent) an Bedeutung.
Zum Bedeutungszuwachs dieser Rollen trägt bei, dass sich auch die Mitarbeiter der Unternehmen gewandelt haben. Hierin sehen die Führungskräfte ausser in der Digitalisierung und dem gesellschaftlichen Wertewandel den grössten Treiber der Veränderung.
Steigende Anforderungen
Dies ist auch eine Ursache, warum die Anforderungen an Führung nach Auffassung von 92 Prozent der Führungskräfte auch künftig weiter steigen oder sogar stark steigen werden – und zwar insbesondere in den Bereichen «Selbstführung/-management» (70 Prozent), «Mitarbeiterführung» (68 Prozent) und «Teamführung» (80 Prozent).
Eine weitere Ursache ist: Die Teams der Führungskräfte haben nicht nur immer stärker einen hybriden, sondern auch heterogenen Charakter. Deshalb stehen die Führungskräfte zunehmend vor der Herausforderung, mit Personen zu kommunizieren und zu kooperieren, die einen völlig unterschiedlichen Background haben sowie deren Wertvorstellungen und Erwartungen an Führung stark divergieren.
Deshalb überrascht es nicht, dass drei Viertel der Führungskräfte ihren persönlichen Entwicklungsbedarf als «hoch» oder sogar «sehr hoch» einstufen. Dabei fällt auf: Am höchsten erachten ihren Entwicklungsbedarf die 41- bis 50-Jährigen – vermutlich auch, weil sie keine «Digital Natives» sind. Zudem haben sie aufgrund ihrer längeren Berufstätigkeit und Führungserfahrung schon mehr Führungsroutinen als ihre jüngeren Kollegen entwickelt, die sie aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen teilweise durch neue ersetzen müssen.
Am geringsten erachten ihren Entwicklungsbedarf die Führungskräfte, die älter als 50 Jahre sind, von denen viele Top-Executives wie Vorstände und Geschäftsführer sind. Dies liegt vermutlich daran, dass sie sich nicht selten primär als die Top-Entscheider und -Manager in ihrer Organisation verstehen. Das heisst, sie haben ein teils anderes Rollen- und Selbstverständnis als die Führungskräfte auf der mittleren Führungsebene und der Shopfloor-Ebene. Deshalb verspüren sie auch einen anderen Entwicklungsbedarf.
Grosser Entwicklungsbedarf
Mehr als die Hälfte der Führungskräfte verspürt einen grossen Entwicklungsbedarf im Bereich «Digitalkompetenz» (53 Prozent). Zudem signalisieren 37 Prozent einen hohen Bedarf im Bereich «Selbstführung/-management». Auffallend ist, dass die Führungskräfte gleich in drei Bereichen grosse Entwicklungsbedarfe bei sich sehen, die eng mit ihren kommunikativen Fähigkeiten und ihrer Fähigkeit, zu ihren Mitarbeitern tragfähige Beziehungen aufzubauen, verbunden sind – nämlich
- Beziehungsmanagement (44 Prozent)
- Kommunikation/Motivation (41 Prozent) und
- Teamführung (27 Prozent).
In diesem Themenfeld, bei dem es auch um die Frage geht:
- «Wie verstehe ich mich als Führungskraft und
- wie definiere ich meine Rolle im Team und
- wie verhalte ich mich deshalb im Kontakt mit meinen Mitarbeitern bzw. mit meinem Team?»,
scheinen aktuell die meisten Führungskräfte einen persönlichen Entwicklungsbedarf zu verspüren, sieht man von der Digitalkompetenz ab.
Die «Alpha-Intelligenz»
Der signalisierte Entwicklungsbedarf korrespondiert stark mit den Ergebnissen der Studie «Alpha Intelligence: Was Führungskräfte von morgen brauchen», die das IFIDZ bereits 2014 durchführte.
Sie kam zum Ergebnis, dass sich in der modernen, digitalen Arbeitswelt das Anforderungsprofil an Führungskräfte wandelt. Sie müssen sich zunehmend zu Beziehungsmanagern beziehungsweise «Alpha-intelligenten Persönlichkeiten» entwickeln, die sich unter anderem durch eine hohe «Persönlichkeitsintelligenz», «Beziehungsintelligenz» und «Digitalintelligenz» auszeichnen.
Als zentralen Punkt, warum sie künftig teils andere Kompetenzen brauchen, verweisen die Führungskräfte immer wieder auf das virtuelle Führen sowie das verstärkte Arbeiten im Homeoffice. Es fällt auf, dass die meisten Führungskräfte keine enthusiastischen Befürworter des Führens auf Distanz sind. Sie erachten dieses vielmehr als ein aufgrund der Rahmenbedingungen «notwendiges Übel». Nur 30 Prozent von ihnen betonen, das Führen auf Distanz habe mehr Vor- als Nachteile. Ansonsten halten sich für sie die Vor- und Nachteile dieser Führungsform entweder meist in der Waage (52 Prozent) oder die Nachteile überwiegen (18 Prozent).
Dabei fällt wiederum auf: Die jüngeren Führungskräfte bewerten das Führen auf Distanz häufiger positiv als die älteren. Dies liegt vermutlich ausser an der unterschiedlichen Digitalkompetenz daran, dass die älteren Führungskräfte bei einem Wandel weg vom «klassischen» hin zu einem virtuellen Führen mehr Führungsroutinen als ihre jüngeren Kollegen aufgeben müssen.