Branchen & Märkte

Best Practice: Innovations-Management

Wie ein Walliser KMU den Zeitungsdruck digitalisiert

Seit Mitte 2015 steht der «Walliser Bote» im Scheinwerferlicht der internationalen Druckbranche. Ursache ist eine Weltneuheit. Das SQS-zertifizierte Familienunternehmen Mengis Druck AG produziert das Blatt in einer neuen Technologie komplett digital. VR-Präsident Nicolas Mengis sagt, was dahintersteckt.
PDF Kaufen

Herr Mengis, ist die Gemeinde Visp im Wallis tatsächlich der Standort einer Weltneuheit?

Ja, wirklich. Mengis hat in eine Technik investiert, die es bisher im Zeitungsdruck noch nicht gegeben hat. Die ganze Anlage ist eine Kombination von drei Anlagen. Kern ist die HP T400 – eine Ink-Jet-Rollendruckmaschine. Die MAN-Foldline ist nachgeschaltet für die Falzarbeiten. Schliesslich besorgt der Müller-Martini-Alphaliner die Konfektionierung mit Einstecksystem, Paketbildung, Routierung, Adressierung und anderes mehr. Die Herausforderung für Mengis bestand darin, diese drei Einheiten von drei verschiedenen Herstellern mit unterschiedlicher Software auf eine Linie zu bringen. Die Federführung hatte MAN inne. Alle Beteiligten waren sehr interessiert am Gelingen dieses Pilotprojekts.

Damit senden Sie ein starkes Signal an die gesamte Druckwelt. Was war denn das eigentliche Investitionsmotiv?

Die Druckbranche durchläuft derzeit bekanntlich einschneidende Veränderungen. Auflagenrückgang, abnehmender Presse-Werbemarkt, Stau von Ersatzinvestitionen in vielen Betrieben, zunehmender Margendruck im Akzidenzbereich, rasant fortschreitendes Tempo bei der Digitalisierung sind die Anzeichen dafür. Wer hier nach Lösungen sucht, muss andere Wege beschreiten. Mengis hat dies getan, vornehmlich aus diesen drei Gründen: Erstens: Die bestehende Zeitungsoffsetmaschine Wifag OF 7 ist schon 35 Jahre im Betrieb. So stellte sich je länger je mehr das Ersatzteil- und das Elektronikproblem. Über kurz oder lang stand ein Ersatz im Raum, auch deshalb, weil es nicht möglich war, den Walliser Boten durchgängig farbig zu drucken. Zweitens: Mit der neuen Maschine kann man nicht nur Zeitung drucken, sondern auch Akzidenzaufträge abwickeln, die einstweilen noch auf einer Bogenoffset Heidelberg XL 105 laufen. Das ist des-halb interessant, weil die Margen im Akzidenzdruck sehr gering sind und der Druckmarkt eben ziemlich «drückt». Drittens schliesslich eröffnet die neue Anlage dem Unternehmen neue Geschäftsfelder. Wenn unsere Berechnungen stimmen, haben wir mit unseren sehr guten Spezialisten und unserem Qualitätsverständnis die grosse Chance, mit der neuen Anlage Erfolg einzufahren.

Was macht die Anlage anders?

Digitaldruck bedeutet, dass mit jeder Zylinderumdrehung neue Informationen auf das Papier gebracht werden können. Bei den konventionellen Maschinen mit Druckplatten ist dies nicht möglich. Mit der neuen Maschine lassen sich so Auflagen mit grosser Wirtschaftlichkeit individualisieren. In einer Broschüre etwa kann man verschiedene Bilder, Textpassagen, Namen und so weiter im gleichen Druckgang einbringen. Diese kundenspezifische Aufbereitung minimiert den Streuverlust und erhöht die Werbewirkung. In der Zeitung ist es möglich, für verschiedene Regionen auf dem gleichen Inseratefeld verschiedene Werbung zu platzieren: in Visp den Bäcker X, in Brig den Bäcker Y, in einem andern Dorf den Coiffeur. Oder: Gemeinden bekommen die Chance, ihre Botschaften in einem fixen «Regionalfenster» kundzutun. Diese Individualisierung einer Drucksache führt zu einer starken Kundenbindung. Genau dafür ist die Technologie gemacht. Die Anlage dient nicht einfach der Vervielfältigung, sondern der Individualisierung von Inhalten. In der Tat: Die Vorteile des Digitaldrucks gegenüber dem Offsetdruck sind mannigfaltig: Druckplatten entfallen, Makulatur beim Andrucken ist um 95 Prozent geringer, die Qualität bleibt von A bis Z konstant, und das alles bei weniger Personalaufwand. Nachteilig sind die deutlich höheren Farbkosten. Gutes Farbmanagement ist deshalb wichtig.

«Time to Market» ist ein zentrales Kriterium bei Investitionsentscheiden. Wie lange haben Sie gebraucht dafür?

Der Investitionsentscheid wurde Anfang 2014 in einer einjährigen Evaluation vorbereitet und zwar – das ist besonders hervorzuheben – unter Mitwirkung des gesamten Teams. Im Zentrum stand die offene Frage der Geschäftsleitung an die Mitarbeitenden, wie und mit welcher Technologie die Marge verbessert werden kann. Das «Go» für die Investition erfolgte kurz vor Weihnachten, an Ostern 2015 wurde die Anlage installiert und am 15. Juni 2015 bereits in Betrieb genommen. Das ging und geht einher mit Anpassungen der Organisation und der Prozesse, Schulungen, Kundeninformationen und einem leichten Redesign des «Walliser Boten». Seither sind wir im Fokus der Branche – national und international. Man spricht von Mengis und besucht uns.

Wie sind die bisherigen Erfahrungen in der noch jungen Betriebsdauer der Anlage?

Ja, die Anlage ist erst seit wenigen Monaten im Betrieb. Da ist es durchaus natürlich, dass da und dort Lehrgeld bezahlt werden musste infolge Fehlmanipulation oder mangelnder Software-Kompatibilität. Mit ein paar wenigen Ausnahmen sind wir seit Oktober stabil und mit top Qualität unterwegs. Die Maschine hat einen Produktionsausstoss von 4000 bis 5000 Exemplaren pro Stunde, je nach Umfang der Zeitungsausgabe, der in der Regel 24 oder 32 Seiten beträgt.

Der Walliser Bote ist mit über 22 000 Exemplaren und dem benötigten «Druckfenster» prädestiniert für diese Maschine. Das Zusammenspiel von Technik und neuen Abläufen verlangte der Mengis-Mannschaft viel ab. Besonders wichtig ist das Farbmanagement, weil die Tinte um die 40 Prozent der Produktionskosten ausmacht. Der Druckereichef hat die nächsten Schritte bereits eingeleitet: Jetzt sind wir an der Umsetzung der neuen Möglichkeiten dieser stupenden Technologie. Wir entwickeln individualisierte Produkte und testen Papiere.

Liegt da sogar Mehrwert für die Kunden drin?

Das Qualitätsversprechen hat für uns Priorität. Die neue Anlage entspricht dem in hohem Masse. Als SQS-zertifizierter Betrieb haben wir seit jeher auf die Karte Spitzenqualität gesetzt, weil wir uns abheben wollen. Der Qualitätsanspruch beflügelt überdies eingegangene Partnerschaften. Die Verantwortung für die Umwelt nimmt die Mengis Druck AG in vielen kleinen Details wahr, etwa durch Verwendung von VOC-freien Lösungsmitteln und wiederverwendbaren, waschbaren Reinigungstüchern, Wärmerückgewinnung, regelmässige Kontrollen von Leckagen, also Druckluft, Vakuum, frequenzgesteuerte Motoren und andere mehr. Die neue Technik soll dem Kunden echten Mehrwert bringen. Das ist das Ziel. Jetzt wird daran gearbeitet. Dazu bauen wir Partnerschaften auf für das Generieren von Daten. Das braucht Zeit. In einem kleinen Pilotprojekt haben wir vorab eine voll individualisierte Kinderzeitung herausgegeben, um die neuen Möglichkeiten darzustellen. Mengis-intern profitieren wir zudem davon, dass der geringere Platzbedarf der Anlage eine Optimierung des Standorts in Visp ermöglicht.

Wie sehen Sie den ungestümen Wandel in der Druckbranche?

Im Druckbereich geht der rasante technologische Fortschritt weiter. Schneller, mehr Kapazität. Es wird nicht weniger Papier gebraucht, aber es werden kleinere Auflagen gedruckt. Unsere Investition ist unsere Antwort auf diese Entwicklung. Im Medienbereich ist das klassische duale System mit Inseraten und Abo-Einnahmen am Wegbrechen. Doch die Branche hat noch keine Patentlösung für Auswege. Bei uns hat das klassische Geschäft zurzeit einen Anteil von über 90 Prozent. Online frisst dem Print vieles weg, weil häufig mit Gratisangeboten operiert wird. Hier haben wir, um die lokalen Inhalte zu schützen, seit vier Monaten die Pay-Wall eingeführt.

Sie drucken seit über 80 Jahren den Walliser Boten. Ist damit eine politische Mission verknüpft?

Die Zeitung ist 175 Jahre alt. Die erste Ausgabe erschien am 1. September 1840. Wir drucken den Walliser Boten seit 1932. Anfänglich ein ganz normaler Druckauftrag, wurde die Zeitung Ende der 1930er-Jahre zum Verlagsobjekt. Der Titel gehört der Walliser Presseverein AG. Bis zum Anfang der 80er-Jahre bestimmte diese die politische Ausrichtung, stellte die Redaktoren ein. Seither haben wir eine unabhängige Zeitung, welche die politische Konstellation in der Regierung und im Grossen Rat abbildet. Heute hat der Verlag ein Vorschlagsrecht für die Wahl der Redaktoren. Die Redaktoren sind dem Verlag unterstellt, aber der Presserat entscheidet bei Neuanstellungen auf unsern Vorschlag hin. Um die Jahrtausendwende hatten wir eine über 80-prozentige Verbreitung. Heute haben wir eine Reichweite von 65 Prozent. Die Zeitung ist im Wallis lokal und regional mit 50 000 Lesern stark verankert.

Und was ist die Richtung in Ihrem Buchverlag?

Der Buchverlag – Rotten-Verlag – wurde seinerzeit gegründet, um der Druckerei in der ruhigen Sommerzeit Arbeit geben zu können. Man hatte nicht das Bedürfnis, sich auf den Markt auszurichten. Der Verlag hatte rund 700 Einzelaktionäre, ist deshalb im Volk breit abgestützt. Die Aktienmehrheit liegt bei Mengis. Im Buchverlag drucken wir vor allem Bücher über das Wallis. Eines der erfolgreichsten ist wohl das Buch «Wallissertitschi Weerter», das in mehreren Auflagen erschienen ist. Wohlbekannt ist auch das Buch über Ulrich Inderbinen, einen der ältesten Bergführer von Zermatt (mit 104 gestorben). Bisher wurden rund 450 Bücher verlegt.

«1815.ch» heisst Ihr Online-Portal. Zufrieden mit den «Hits»?

Das Portal wurde im Jahr 2009 geschaffen. «1815.ch» symbolisiert das 200-jährige Bestehen des Kantons Wallis. Da aufgeschaltet sind auch eine Wochenzeitung aus unserem Verlag und weitere Dienste und Produkte. Wir haben guten Zuspruch auf dem Portal mit rund 130 000 Unique User und circa 2 Millionen Pageimpres­sions. Konkurrent hier ist das Radio Rottu Oberwallis RRO.

Eigenständigkeit prägt die Mengis-Firmengeschichte. Wo liegt die Zukunft Ihres Unternehmens?

Wir haben seit jeher darauf geachtet, die Selbstständigkeit zu wahren, auch wenn es mal nicht nach Wunsch lief. Wir haben die Rechtsform einer Familien-AG. Bis 2002 führte Vater Mengis die Firma sogar als Einzelfirma. Ich habe schon länger vor dem Tod meines Vaters im Herbst 2014 die Mehrheit der Aktien übernommen, der Rest liegt in der Familie. Unabhängigkeit macht schnelles Handeln möglich. Und wir profitieren von kurzen Entscheidungswegen. Man redet nicht nur von Lösungen, sondern man realisiert sie. Das ist ein grosser Vorteil im harten Wettbewerb der Branche. Wir tun alles, damit das noch lange so bleibt. Unsere schlanke Struktur ist da hilfreich.

Porträt