Vertrauenskultur notwendig
Dies ist insofern relevant, als bei einer Alpha Collaboration beziehungsweise bereichs-, funktions- und zuweilen sogar unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit die Führungskräfte vielen am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen nicht qua disziplinarischer Gewalt vorgeben können, dies oder das zu tun. Sie müssen diese vielmehr aufgrund ihres Auftretens und Verhaltens als Person sowie der Kraft ihrer Argumente als Mitstreiter gewinnen.
Ähnliches gilt für das Führen der eigenen Mitarbeiter auf Distanz. Ihnen können die Führungskräfte zwar vorgeben, was sie zu tun haben, inwieweit ihre Mitarbeiter dies aber real tun, können sie aufgrund der räumlichen Distanz aber nur bedingt kontrollieren. Also bleibt ihnen letztlich meist keine andere Wahl, als die Mitarbeiter durch ihr Verhalten und argumentativ zu überzeugen. Ansonsten müssen sie ihnen vertrauen. Das heisst wiederum: Wechselseitiges Vertrauen ist gerade beim Führen auf Distanz ein zentraler Erfolgsfaktor.
Ansätze einer solchen Kultur der Zusammenarbeit und Führung, die in der Vuka-Welt zunehmend erfolgsrelevant ist, scheint es in den Unternehmen be-reits zu geben. Diese gilt es auszubauen, unter anderem indem die Unternehmen die Entwicklung ihrer Führungskräfte zu Alpha-intelligenten Persönlichkeiten fördern.
Thesen zum Thema Führung und Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter
Basierend auf den Ergebnissen der Studie «Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft» hat das IFIDZ 18 Thesen formuliert, vor welchen Herausforderungen die Unternehmen und ihre Führungskräfte künftig stehen und welche Anforderungen hieraus resultieren.
These 1: Die Corona-Pandemie war im Bereich Unternehmensführung und -steuerung kein Game-Changer. Sie offenbarte Defizite unter anderem im Bereich Risikomanagement und Digitalisierung der Unternehmen und
forcierte wie ein Brandbeschleuniger viele Entwicklungen im Bereich Führung und Zusammenarbeit, die zuvor bereits existierten.
These 2: Die Corona-Pandemie veränderte die persönlichen Arbeitsbedingungen vieler Führungskräfte und Mitarbeiter kurzfristig sehr massiv. Deshalb nehmen sie diese oft als einen Game-Changer wahr.
These 3: Die Bedeutung von Führung in den Unternehmen wird weiter steigen – unter anderem weil es in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Vuka-Welt stets aufs Neue gilt, den Mitarbeitern Halt und Orientierung sowie neue Perspektiven zu vermitteln.
These 4: Auch die Anforderungen an Führung werden weiter steigen – speziell bei der Mitarbeiter- und Teamführung. Dementsprechend sehen die Führungskräfte bei sich vor allem einen Entwicklungsbedarf in den Bereichen
- Beziehungsmanagement,
- Kommunikation/Motivation und
- Teamführung;
ausserdem im Bereich Selbstführung/-management; unter anderem, um nicht auszubrennen und handlungsfähig zu bleiben.
These 5: Im Führungsalltag gewinnen vor allem die Führungsrollen an Bedeutung, deren effektive Wahrnehmung stark von der Beziehung zu den Mitarbeitern beziehungsweise Netzwerkpartnern und der Kommunikation mit ihnen abhängt – zum Beispiel die Rollen
- Leader/Sinnstifter,
- Influencer/Beziehungsmanager und
- Personalentwickler/Coach.
Die Führungskräfte müssen sich zu Beziehungsmanagern beziehungsweise «Alpha-intelligenten Persönlichkeiten» entwickeln – also Führungspersönlichkeiten, die sich unter anderem durch eine hohe Persönlichkeits-, Beziehungs- und Digitalintelligenz auszeichnen.
These 6: Das Thema laterale Führung beziehungsweise Führung ohne Weisungsbefugnis gewinnt aufgrund der netzwerkartigen Struktur der Unternehmen und verstärkten bereichs- und unternehmensübergreifenden Team-/Projektarbeit an Bedeutung. Die Führungskräfte stehen vermehrt vor der Herausforderung, Personen zu inspirieren und zu führen, die ihnen disziplinarisch nicht unterstellt sind, da sie von ihnen bei der Zielerreichung abhängig sind.
These 7: Die Online-Kommunikation spielt im Führungsalltag eine immer grössere Rolle – und zwar im Kontakt mit allen Personen, die am Leistungserbringungsprozess beteiligt sind; unabhängig davon, ob es sich hierbei um eigene Mitarbeiter, Mitarbeiter anderer Bereiche, Kunden, Dienstleister oder Lieferanten handelt.
These 8: Die Veränderung der Mitarbeiter ist ein wichtiger Veränderungstreiber. Aufgrund des allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandels ändern sich auch die Erwartungen an die Arbeit und die Führung. Die Angehörigen der Generationen Y (nach 1980 geboren) und Z (nach 2000 geboren) – also die Digital Natives und Millennials – sind in den Betrieben angekommen.
These 9: Das Führen hybrider Teams mit einem sehr heterogenen Charakter wird zum Tagesgeschäft. Die Führungskräfte brauchen eine grosse Verhaltensflexibilität, um effektiv mit Menschen zu kommunizieren und zu kooperieren, die einen sehr unterschiedlichen biografischen, beruflichen und kulturellen Background haben und deren Wertevorstellungen und Erwartungen an Führung stark divergieren.
These 10: Viele Führungskräfte auf der mittleren Führungsebene und der operativen Ebene betrachten das Führen auf Distanz als ein «notwendiges Übel». Anders sieht dies bei den Top-Managern aus – unter anderem weil speziell in den multinational agierenden Unternehmen der Führungs- und Kommunikationsprozess zumindest auf der Top-Ebene auch schon vor Corona weitgehend digital erfolgte. Deshalb unterschätzen sie nicht selten die Schwierigkeiten, die diese Art zu führen den Führungskräften auf den ihnen nachgeordneten Ebenen bereitet.
These 11: Aus Sicht der Führungskräfte verfügt ein beachtlicher Teil ihrer Mitarbeiter nicht über den erforderlichen Reifegrad und Entwicklungsstand, um weitgehend eigenständig und -verantwortlich zum Beispiel im Homeoffice zu arbeiten. Dies gilt unter anderem für die Mitarbeiter in der Einarbeitungsphase und die Mitarbeiter, die nur bedingt sich und ihre Arbeit effektiv organisieren und sich selbst motivieren können.
These 12: Die meisten Führungskräfte sehen beim Führen auf Distanz die Gefahr einer sinkenden Beziehungsqualität zwischen den Mitarbeitern und ihnen sowie einer sinkenden Identifikation mit dem Unternehmen.
These 13: Nicht wenige Führungskräfte unterschätzen, dass beim Führen auf Distanz auch die Gefahr einer Überforderung von ihnen selbst besteht. Zudem gestehen sie sich ihre Angst vor einem Kontrollverlust nicht ein.
These 14: Führungskräfte stehen in ihrer Alltagsarbeit immer häufiger vor der Herausforderung, statt der Zusammenarbeit in ihrem Bereich die Zusammenarbeit in dem Beziehungsnetzwerk zu optimieren, das am Leistungserbringungsprozess beteiligt ist. Dieser bereichs-, funktions- und nicht selten auch unternehmensübergreifenden Form der Zusammenarbeit, die das IFIDZ Alpha Collaboration nennt, gehört die Zukunft.
These 15: Wenn Führungskräfte von hybriden Teams sprechen, haben sie oft die bereichs- und nicht selten sogar unternehmensübergreifenden Arbeitsteams vor Augen, deren Zusammenarbeit sie zur Zielerreichung koordinieren müssen. Das heisst, sie haben das klassische Bereichs- beziehungsweise Säulendenken überwunden; sie denken bereits in netzwerkartigen Zusammenhängen.
These 16: Viele Führungskräfte haben schon das Bewusstsein verinnerlicht, dass eine Führung, die auf eine Verbesserung der Alpha Collaboration abzielt, ein verändertes Selbstverständnis als Führungskraft und ein verändertes Führungsverhalten erfordert.
These 17: Führung per disziplinarischer Macht ist out; Führung über das Auftreten und Verhalten sowie die Argumentation gewinnt. Vertrauen wird zum zentralen Erfolgsfaktor beim Führen – speziell beim Führen auf Distanz.
These 18: In vielen Unternehmen existieren bereits Ansätze einer solchen, auf wechselseitigem Vertrauen basierenden Kultur der Zusammenarbeit und Führung. Diese gilt es auszubauen, indem die Unternehmen die Entwicklung ihrer Führungskräfte zu Alpha-intelligenten Persönlichkeiten forcieren.